Spec. Olympics

Die Mutter der Spiele


24. Mai 2023 , Christopher Tiess


Außergewöhnliche Schaffenskraft: Eunice Kennedy-Shriver war eine bedeutende Advokatin für junge Menschen mit geistiger Behinderung.
Außergewöhnliche Schaffenskraft: Eunice Kennedy-Shriver war eine bedeutende Advokatin für junge Menschen mit geistiger Behinderung. | © Special Olympics

Special Olympics ist eine größten Sportbewegungen der Welt. Treibende Kraft hinter ihrer sagenhaften Entwicklung war Eunice Kennedy-Shriver – eine Frau mit schierer Schaffenskraft.

Special Olympics – das ist der mittlerweile weltbekannte Name für eine der bedeutendsten Sportbewegungen dieses Planeten. Ziel dieser so wichtigen Instanz ist es, Kindern und Erwachsenen mit geistiger Behinderung oder Mehrfachbehinderung eine Bühne und ein Sprachrohr zu geben. Dabei steht hinter der Entwicklung der Organisation eine große treibende Kraft, die immer wieder als die Mutter der Special Olympics bezeichnet wird: Eunice Kennedy-Shriver. Dies ist ein Portrait dieser außergewöhnlichen Frau.

Von Kennedy bis Schwarzenegger

Eunice Kennedy war Teil des Kennedy-Clans. Sie wurde am 10. Juli 1921 in Brookline, Massachusetts geboren. Sie war das fünfte der neun Kinder von Joseph Patrick Kennedy, Sr. und Rose Kennedy. Zu ihren Geschwistern zählen unter anderem die berühmten Politiker John F. Kennedy, Robert F. Kennedy und Edward Kennedy. Sie war die Schwägerin von Jaqueline Kennedy, Schwiegermutter von Arnold Schwarzenegger und ab dem 23. Mai 1953 Ehefrau von Robert Sargent Shriver, der US Botschafter in Frankreich und Demokratischer Vize-Präsidentschaftskandidat des Jahres 1972 war. 

Von ihrer Biographin Eileen McNamara wurde sie als sehr intelligente und engagierte – aber auch ungeduldige Frau bezeichnet. Sie hat 1943 einen Soziologie-Abschluss an der Elite-Hochschule Stanford gemacht. Danach arbeitete sie für das US Außenministerium und das Justizministerium, wo sie ein Projekt im Bereich Jugend-Delikte leitete. Sie war als Sozialarbeiterin in einem Frauengefängnis in West Virginia tätig und zog dann 1951 nach Chicago, wo sie in einem Frauenhaus sowie für das Jugendgericht arbeitete. Im Jahr 1957 wurde Eunice Kennedy Executive Vice President der Joseph P. Kennedy, Jr. Stiftung.

Eunice Kennedy standen in der Politik und dem öffentlichen Leben nicht dieselben Chancen zur Verfügung wie ihren Brüdern - einfach weil sie eine Frau war. Auch ihre Intelligenz und ihre Schaffenskraft konnten daran nur wenig ändern. So schrieb sie in den 50er Jahren einen traurigen oder gar anklagenden Brief an ihren Vater: „Papa, Du investierst so viel Zeit in die Karrieren von allen anderen. Aber was ist mit mir?“ Man gab ihr keine Macht. Also nahm sie sich diese am Ende selbst.

Die Anfänge im Tal der Tränen

Die Wurzeln der Special Olympics liegen in den frühen 1940er Jahren. Es war eine missglückte Hirnoperation bei der älteren Schwester Rosemary und die darauf folgende drastische Verschlimmerung ihres Gesamtzustandes, die die Verbundenheit von Eunice Kennedy-Shriver zu Menschen mit geistiger Behinderung schuf. Es war eine Zeit, als Kinder mit mentalen Einschränkungen flächendeckend von Aktivitäten ausgeschlossen wurden und in der Retrospektive auch als „vergessene Kinder“ bezeichnet wurden. Dies war auch bei den Kennedys nicht anders: Rosemary wurde in eine Heilanstalt abgeschoben und die Geschwister erhielten vom Vater striktes Besuchsverbot. Rosemary wurde aus dem Leben der Familie gestrichen. Auch Eunice vergaß ihre Schwester. Sie hatte Schuldgefühle.

Doch so tragisch der missglückte medizinische Eingriff war: für Eunice Kennedy bedeutete er den Startpunkt der Verbundenheit mit dieser Thematik, der sie letztendlich einen großen Teil ihrer Schaffenskraft widmete. Und dabei ging es nicht nur um Rosemary selbst, sondern um Benachteiligung generell. Denn wo für den Vater Joseph Kennedy stets nur der erste Platz zählte, und die Söhne ernster genommen wurden als die Töchter, sah Eunice Kennedy eine große Ungerechtigkeit. Als Joseph Kennedy 1961 einen Herzinfarkt hatte und durch den Verlust seiner Sprache seine Autorität nicht länger geltend machen konnte, nutzte Eunice Kennedy die Chance: sie holte ihre Schwester zurück in den Kreis der Familie.

Enough!

Ungefähr zur selben Zeit erreichte sie die Nachricht einer Mutter aus Bethesda, Maryland. Ihr Kind wird in den so weit verbreiteten Sommerferiencamps nicht akzeptiert. Der Grund: das Kind hat eine geistige Behinderung. Anderen betroffenen Eltern ging es genauso, die Kinder durften nicht teilnehmen, einfach weil sie „anders“ waren. Mit ihrem berühmten Wort „enough“ war für Eunice Kennedy-Shriver klar: sie wird etwas dagegen tun. 

So schuf sie im Sommer 1962 kurzerhand ein eigenes Sommercamp für Kinder mit und ohne geistige Behinderung. Jeden Tag von 09:00 bis 15:00 Uhr stand auf ihrer Farm „Timberlawn“ ein sportives Freizeitprogramm an und der Garten der Shrivers verwandelte sich in einen Freizeitpark mit Fußball und Basketballfeld, Federballnetzen, Ponys und Schwimmbecken. 34 Kinder und 26 Betreuer waren die handelnden Personen des Events, der als direkter Vorläufer der Special Olympics angesehen wird.

Ein Detail war Eunice Kennedy-Shriver von Beginn an sehr wichtig: die Interaktion zwischen Kindern mit besonderen Bedürfnissen und gesunden Kindern. Timothy Shriver ist einer der Söhne von Eunice Kennedy-Shriver und seit 1996 der Vorsitzende der Special Olympics. Zur Zeit des ersten Camps war er noch keine drei Jahre alt. Er wurde mit einem kleinen Jungen mit geistiger Behinderung namens Wendell zusammengebracht. Das Camp wurde auch in den darauffolgenden Jahren wiederholt und auch Tim wurde älter. Er rekapituliert: „Für mich waren die Teilnehmer lustig, sie waren meine Freunde. Damals begriff ich noch gar nicht, das sie intellektuell eingeschränkt waren. Ich wusste nur: ich will mit ihnen spielen.“ 

Der Sport ist der Weg

Gerade in den USA war und ist Sport immer schon der Weg zur Teilhabe gewesen. Und dieser Weg wurde genau hier auch jenen jungen Menschen geebnet, die geistige Behinderungen haben. Ab dem Jahr 1964 wurden zudem wissenschaftliche Studien veröffentlicht, die zeigten: sportliche Betätigung ist für die Entwicklung von Menschen mit mentalen Einschränkungen grundsätzlich als sehr positiv anzusehen.

Die Zahl der Teilnehmer wuchs mit den Jahren und erreichte etwa 100 junge Menschen. Dem entsprechend wuchs auch die Zahl der Betreuer. Und auch die öffentliche Aufmerksamkeit rund um das Camp nahm zu. Menschen mit besonderen Bedürfnissen wachsen und gedeihen mit Aufmerksamkeit, und im Camp Shriver gab es nie Kinder, die sich alleine langweilen mussten. Sie waren stets eingebunden. „Meine Mutter glaubte immer, dass Eins-zu-eins-Beziehungen das Leben der Menschen verändern können“, sagt Maria Shriver, Tochter von Eunice und spätere Ehefrau von Arnold Schwarzenegger.

Camp Shriver wurde vier Jahre lang durchgeführt. Dann wurde es durch etwas noch viel Größeres und Weitreichenderes ersetzt: die Special Olympics. Diese fanden erstmalig im Sommer 1968 statt. Die Joseph P. Kennedy Jr. Foundation, in der Eunice Kennedy nunmehr tonangebend tätig war, half bei der Planung und Finanzierung der ersten internationalen Special Olympics Sommerspiele. 1.000 Athleten aus den USA und Kanada nahmen teil.

Eunice Kennedy-Shriver war Meisterin darin, wichtige Dinge spielerisch aussehen zu lassen.
Eunice Kennedy-Shriver war Meisterin darin, wichtige Dinge spielerisch aussehen zu lassen. | © Special Olympics

Dabei sein ist alles

Bis heute zeigt sich dabei das Bemerkenswerte an den Special Olympics: der ursprüngliche olympische Gedanke „dabei sein ist alles“, ist hier wahrscheinlich mittlerweile noch zutreffender als bei den Paralympics und den Olympischen Spielen selbst. Auch Eunice Kennedy-Shriver sagte während der Eröffnungsrede: „Im alten Rom betraten die Gladiatoren die Arena mit den Worten auf den Lippen: Lass mich gewinnen. Aber wenn ich nicht gewinnen kann, lass mich bei dem Versuch mutig sein.“ Dies ist bis heute der offizielle Eid der Special Olympics.

Zeit ihres Lebens war Kennedy-Shriver Advokatin für Kinder und Jugendliche mit geistigen Behinderungen und Entwicklungsproblemen. Neben den Special Olympics war sie beim Aufbau zahlreicher Universitätsprogramme, Regierungsinitiativen, Gesundheitseinrichtungen und Unterstützungsnetzwerke beteiligt. Zudem drängte sie ihr ganzes Leben lang ihre berühmten Brüder, sich für Menschen wie ihre gemeinsame Schwester einzusetzen. 

Freiheitsmedaille & Co.

Ihre Schaffenskraft schien beinahe grenzenlos, sodass George Bush beim Dinner zu ihrem 80. Geburtstag sagte: "Falls Sie sich je gefragt haben, was eine einzelne Person zu leisten vermag, dann schauen Sie auf diese Dame." Und nachdem Eunice Kennedy-Shriver am 11. August 2009 starb, bemerkte Barack Obama: „Sie war eine außergewöhnliche Frau, die (…) unserer Nation und unserer Welt beigebracht hat, dass keine physische oder mentale Barriere die Kraft des menschlichen Geistes einschränken kann.

Für ihre Bemühungen zu Gunsten der Menschen mit Behinderungen wurde sie bereits im Jahr 1984 mit der Presidential Medal of Freedom ausgezeichnet. Diese ist neben der Congressional Gold Medal die höchste zivile Auszeichnung der Vereinigten Staaten von Amerika. Für die meisten jedoch ist und bleibt sie vor allem: die Mutter der Special Olympics, der größten Bewegung für Akzeptanz und Inklusion von Menschen mit geistiger Behinderung in der Weltgeschichte.