Mental

So verwandeln Sie Angst in Gelassenheit


11. Juli 2024 , Felix Grewe


Angst vor dem nächsten Schlag – nicht die beste Voraussetzung.
Angst vor dem nächsten Schlag – nicht die beste Voraussetzung. | © golfsupport.nl/Jos Linckens

Nervosität und sogar Angst vor dem Abschlag oder auf dem Grün kennt fast jeder Golfer. Wie Sie lernen, mit diesen Emotionen besser umzugehen – und sie in hilfreiche Gefühle zu transformieren.

Manchmal reicht schon der Gedanke an den ersten Abschlag für einen erhöhten Puls. Die Vorstellung, unter der Beobachtung anderer den Ball auf die Runde zu schicken und dabei möglicherweise die eigenen Unzulänglichkeiten frei zu präsentieren, setzt viele Amateure unter Druck. Tatsächlich soll es Freizeitspielern öfter so ergehen als den Profis auf den Touren dieser Welt – das zumindest behauptet Sportpsychologin Julie Elion in einer Kolumne auf dem US-Portal golf.com. „Es hat sich herausgestellt, dass die Spieler der PGA Tour nicht nur besser sind als Sie und ich, wenn es darum geht, Fairways zu treffen und Annäherungsschläge zu platzieren; sie sind auch weitaus besser darin, ihre Schwünge von ihren Scores zu trennen. Das ist eine legitime Superkraft“, schreibt die Amerikanerin, die bereits vielen Topspielern im mentalen Bereich geholfen hat. Was sie meint: Vielen Profis gelingt es häufiger als Freizeitspielern, Erfolge und Misserfolge auf einer Runde vom gefühlten Selbstwert zu entkoppeln und dadurch freier zu spielen. 

Schefflers Mentalstrategie

Wenige Tage vor seinem zweiten Masters-Sieg im April dieses Jahres sprach US-Star Scottie Scheffler über seine Gedanken während eines Wettkampfs. „Ich konzentriere mich hauptsächlich auf meine mentale Einstellung“, gab er zu Protokoll. „Ich schaue nicht auf die Ergebnisse.“ Nervosität, so erklärte es Scheffler, wandelt er in Fokussierung um, indem er sich auf den Prozess des Spiels konzentriert und nicht auf Birdie, Par oder Bogey. 

Was Spitzensportler sämtlicher Disziplinen eint: Die meisten von ihnen haben gelernt, zwischen dem zu unterscheiden, was innerhalb ihres Einflussbereichs liegt und was fernab dessen nicht zu kontrollieren ist – dazu zählt neben äußeren Umständen vor allem die Vergangenheit. „Wenn der Ball erst einmal gelandet ist, gibt es keine Emotionen oder Schimpfwörter, die seine Lage verändern könnten“, erklärt Elion. „Wenn Sie das, was Sie tun, von dem trennen, was der Schläger, der Ball, der Wind und der Rasen getan haben, werden Sie Angst gegen Gelassenheit eintauschen, was letztendlich zu reibungslosen Schwüngen führt, die fast auf Autopilot laufen und Ihnen Ärger und Schläge ersparen.“ Im besten Fall gelangen sie also in einen Zustand, der oft als „Flow“ bezeichnet wird – wenn alles einfach zu funktionieren scheint, ohne Widerstände und vor allem frei von belastenden Gedanken. 

Wie Achtsamkeit helfen kann

Zu erkennen, was sich nicht (mehr) beeinflussen lässt, bedeutet allerdings nicht, Gefühle und Emotionen zu unterdrücken. Stattdessen geht es darum, sie zu erkennen und sich in Akzeptanz dessen zu üben, was nicht änderbar ist. „Das ist der Kern der Achtsamkeit, eines Konzepts, das in der Meditation populär geworden ist und über das Dr. Jon Kabat-Zinn ausführlich geschrieben hat, der es als ‚offenherziges, von Augenblick zu Augenblick urteilsfreies Gewahrsein‘ definiert hat. Beim Sport, wie auch bei vielen anderen Aktivitäten, kann sich Achtsamkeit wie ein Flow-Zustand anfühlen. Das ist der Grund, warum Sie sich nach einer guten Runde vielleicht nicht mehr daran erinnern, wie es sich angefühlt hat, den Schläger zu schwingen; die guten Schläge sind einfach so passiert“, erklärt Elion. 

Wissenschaft und Forschung belegen ihre These in verschiedener Hinsicht. Elion: „Einerseits haben Studien ergeben, dass das Bestreben, unsere inneren Zustände zu kontrollieren, uns nicht zu besseren Leistungen verhilft, wahrscheinlich weil es unsere Energie in den Versuch lenkt, das Unmögliche zu erreichen. Andererseits haben Forscher wie Dr. Marc Bernier herausgefunden, dass Achtsamkeit in einer Reihe von Sportarten stark mit niedrigeren Punktzahlen und höheren Platzierungen korreliert. Negative Gefühle müssen nicht zwangsläufig negative Folgen haben, solange wir sie als das erkennen, was sie sind.“

Gedanken reduzieren

Klar ist: Es ist nicht immer einfach, die eigene Fehlbarkeit zu akzeptieren. Erstrecht dann, wenn Anspruch und Realität weit auseinanderklaffen. Gedanken, die als Grundlage für Gefühle gelten, lassen sich nicht per Knopfdruck ausschalten. Allerdings: Wer lernt, seine Achtsamkeit zu steigern, reduziert damit das eigene Denken. Und das kann vom Abschlag bis zum Grün hilfreich sein. „Wenn Sie zu viel denken, können Sie den Preis dafür in Form von Rhythmus, Kontakt oder Richtung zahlen“, schreibt Elion. „Wenn ich mit meinen Spielern nach den Übungsrunden spreche, erinnern sie sich selten daran, welche Putts gefallen sind und welche nicht. Aber sie können mir sagen, wie hoch ihr Tempo und wie ihre Linie an diesem Tag waren. Das zeigt mir, dass sie sich auf das konzentriert haben, was sie kontrollieren konnten, und nicht auf das, was sie nicht kontrollieren konnten.“

Wahre Zufriedenheit, die nicht nur kurzzeitig aufpoppt, sondern nachhaltig bleibt, entsteht nicht durch Resultate auf dem Golfplatz. „Glückliche Golfer, wie auch glückliche Menschen, sind dem Prozess verpflichtet und haben keine Angst vor dem Ergebnis. So entsteht alles andere (z.B. Birdies und Triumphe) wie von Zauberhand“, erklärt Elion. Denken Sie daran, wenn Sie beim nächsten Mal mit Angst zum Abschlag gehen. Vielleicht entdecken Sie dann schon bald, wie angenehm das Gefühl von Gelassenheit sein kann ...