Mentale Stärke
Zeit für mehr Selbstmitgefühl – auch beim Golf!
13. Juni 2024 , Felix Grewe
An schlechten Tagen neigen viele Golfer zu brutaler Selbstkritik. Zu besseren Ergebnissen führt die in der Regel nicht. Forscher haben herausgefunden: Die Lösung heißt Selbstmitgefühl.
Es gibt eine Frage, die sich jeder Golfer von Zeit zu Zeit stellen sollte. Spätestens dann, wenn er oder sie wieder einmal frustriert über den Platz schleicht und im inneren Zwiegespräch Sätze fallen wie zum Beispiel: „Einfach nur peinlich, was du hier heute wieder auf der Runde ablieferst!“ Oder: „War doch vorher klar, dass du den Drive an der 17 wieder in die Binsen schlägst, den konntest du ja noch nie!“ Oder: „Bei diesen miesen Putts solltest du dir besser ein anderes Hobby suchen!“ Die Frage, die dann aufschlussreich sein kann, lautet: Was würden Sie machen, wenn ein Spieler aus Ihrem Flight so mit Ihnen spräche, wie Sie das selbst tun? Die wohl harmloseste Konsequenz wäre die, dass Sie gewiss nie wieder mit ihm auf die Runde gehen würden.
Sich ein innerer Verbündeter sein – kein Feind
Menschen neigen zu harscher Selbstkritik – auf dem Golfplatz, so scheint es manchmal, in ganz besonders schlimmer Art und Weise. So führen viele Spielerinnen und Spieler innere Dialoge voller Verzweiflung, Wut und Frustration, weil die eigenen Leistungen wieder einmal nicht den Ansprüchen genügen. Eine mögliche Lösung für diese destruktive Form der Kommunikation mit sich selbst, die übrigens wenig Aussicht auf ein besseres Spiel bietet: Selbstmitgefühl. Das bedeutet nämlich, sich selbst so zu behandeln, wie man mit einem Freund oder einer Freundin umgehen würde, die gerade eine schwierige Zeit durchmachen. Wer selbstmitfühlend ist, wird sich selbst zu einem inneren Verbündeten anstatt zu einem inneren Feind. Was ein wenig nach Gefühlsduselei klingt, ist ein wissenschaftlich gut untersuchtes Thema.
Weitreichende Forschungen über Selbstmitgefühl
Zwei führende Forscher auf diesem Gebiet sind Kristin Neff und Chrisopher Germer. Beide haben sogar ein Programm entwickelt, das Achtsamkeit und Selbstmitgefühl verbindet. Eine ihrer zentralen Thesen, die für Golfer besonders relevant zu sein scheinen: Niemand ist perfekt – was kein Grund ist, sich für Fehler oder Niederlagen selbst zu zerfleischen. „Wir unterliegen der falschen Annahme, dass die Dinge stets glattlaufen sollten und dass mit uns irgendetwas nicht stimmt, wenn mal wieder etwas schiefgegangen ist“, schreiben die Amerikaner in ihrem Buch mit dem Titel „Selbstmitgefühl“.
Kein Mitleid!
Um Missverständnissen vorzubeugen: Selbstmitgefühl ist kein Selbstmitleid! Nur, weil Sie an einem schlechten Tag Ihre Abschläge ins Nirvana kloppen oder von einem Bunker in den nächsten marschieren müssen, sind Sie noch längst keine arme Socke. Ein selbstmitfühlendes Verhalten heißt also keineswegs, dass Sie sich selbst leidtun sollen. Im Gegenteil: Forschungen belegen, dass Menschen mit Selbstmitgefühl sogar weniger über Ängste und Sorgen grübeln und stattdessen schneller bereit sind, neue Perspektiven einzunehmen und nach Rückschlägen zuversichtlich zu bleiben. Und: Wer Selbstmitgefühl in seiner Lebensweise kultiviert, soll Studienergebnissen zufolge besser in der Lage sein, mit schwierigen Situationen zustande zu kommen – mit einer mäßigen Golfrunde daher erstrecht!
Warum Selbstmitgefühl motivieren kann
Also Schluss mit Selbstkritik, die einen doch auch anspornen und zu Höchstleistungen treiben kann? Jein! Worte und Gedanken, die jeglichen Respekt vermissen lassen und bloß der eigenen Erniedrigung dienlich sind, haben weder auf dem Golfplatz noch sonst irgendwo etwas verloren. Mit einer geringeren Motivation hat das allerdings so gar nichts zu tun. „Ein äußerst weit verbreitetes Missverständnis ist, dass Selbstmitgefühl die eigene Motivation untergraben könnte. Die meisten Menschen halten Selbstkritik für einen erfolgreichen Motivator, aber in Wirklichkeit unterwandert sie das Selbstvertrauen und führt zu Versagensängsten“, schreiben Neff und Germer. Und weiter: „Haben wir Selbstmitgefühl, sind wir nach wie vor motiviert, unsere Ziele zu erreichen – nicht, weil wir so, wie wir sind, unzulänglich wären, sondern weil wir uns selbst wichtig sind und unser volles Potenzial verwirklichen wollen. Die Forschung zeigt, dass Menschen mit Selbstmitgefühl hohe persönliche Standards haben, sich aber nicht so sehr darüber ärgern, wenn sie sie verfehlen sollten. Sie haben weniger Versagensängste und sind eher bereit, nach einem Scheitern einen erneuten Versuch zu wagen und ihre Bemühungen aufrechtzuerhalten.“
Also, beim nächsten Ausflug ins Wasser, beim nächsten versemmelten Putt oder beim nächsten Triple-Bogey, das eigentlich ein Par werden sollte, denken Sie daran: Seien Sie freundlich zu sich selbst. Und sprechen Sie so mit sich, wie Sie mit einer guten Freundin umgehen würden...