Menschen
"Kurz davor, alles zu verlieren, was mir wichtig war"
27. Februar 2023 , Thomas Fischbacher
Chris Kirk feiert bei der Honda Classic den ersten Sieg seit fast acht Jahren. Ein Blick zurück auf eine Karriere, die mit großen Momenten beginnt, später aber von Alkoholproblemen und Depressionen gekennzeichnet ist.
Die Schlagzeilen in Golf-Deutschland drehten sich an diesem Wochenende vor allem um Marcel Siem. Verständlich. Der Deutsche sicherte sich in Indien seinen fünften Sieg auf der DP World Tour und den ersten seit mehr als acht Jahren. Chris Kirk stemmte an diesem Wochenende ebenfalls einen Pokal gen Himmel. Der Amerikaner gewann bei der Honda Classic auf der PGA Tour. Auch er feierte seinen fünften Tour-Sieg. Auch er war seit fast acht Jahren sieglos. Es war das Wochenende der Comeback-Siege.
Die Geschichte Kirks ist eine besondere. Sie beginnt wie ein Märchen. Der heute 37-Jährige aus Georgia wechselte 2007 ins Profilager und schlägt seit 2011 auf der PGA Tour ab. Schnell entwickelte er sich zu einem Protagonisten. 2011 gelang der Debüt-Titel bei der Viking Classic, es folgten weitere Siege bei der McGladrey Classic 2013 und der Deutsche Bank Championship 2014 sowie beim Colonial Invitational 2015. 2015 spielte sich der für sein in allen Bereichen extrem solides Spiel bekannte Senkrechtstarter bis auf den 16. Rang der Weltrangliste nach vorne und vertrat sein Land im Presidents Cup.
Entzug nach sportlicher Talfahrt
Kirk hatte sich langsam, aber sicher in die erweiterte Weltspitze gespielt. Die Weichen für große Siege in der Zukunft waren scheinbar gestellt. Doch anstatt großer Momente auf dem Golfplatz sind die nächsten Schritte seiner Karriere von verpassten Cuts und gesundheitlichen Problemen gekennzeichnet.
Ein Sprung ins Jahr 2019. Nach sportlich wenig ertragreichen Jahren gestand Kirk in der Öffentlichkeit, dass er jahrelang gegen eine Alkoholsucht gekämpft hatte und schließlich erkannte, dass er Hilfe brauchte, um seine Sucht zu überwinden. Er begann eine Therapie und nahm sich eine Auszeit von der PGA Tour, um sich auf seine Genesung zu konzentrieren. "Mir wurde klar, dass ich wirklich keine Kontrolle darüber hatte, denn ich wollte eigentlich nicht trinken, aber ich tat es trotzdem", berichtete er in einem bewegenden Interview mit Helen Ross von der PGA Tour. Ein mutiger Schritt.
Gegen Ende des Jahres kehrte er nach sechs Monaten Pause auf die Tour zurück und berichtete offen über seine Erfahrungen mit Alkoholsucht und Depressionen. Fortan standen vor allem Gesundheit und sein Familienleben im Fokus.
Wendepunkt auf Hawaii
Nach zunächst durchwachsenen sportlichen Leistungen nach dem Comeback sorgte der Walker-Cup-Teilnehmer von 2007 im Januar 2021 bei der Sony Open auf Hawaii wieder für sportliche Schlagzeilen. Eine Podiumsplatzierung war nötig, um die Tour-Karte nach einer Medical Extension zu behalten. Kirk lieferte ab – und beendete das Turnier am Ende sensationell als Zweiter. Es war die erste Top-Ten-Platzierung nach 31 Monaten. Zwischenzeitlich war er sogar aus den Top 500 der Weltrangliste geflogen.
Es ist ein Wendepunkt in der Karriere des vierfachen Familienvaters. 2021 und 2022 stabilisieren sich die Leistungen wieder. Es folgten weitere starke Resultate und der Blick richtet sich nach oben. Kirk kommt immer besser in Schwung und nähert sich jener Form, die ihn damals zu einem absoluten Top-Spieler gemacht hat.
Ein Top-50-Spieler ist er nach dem überzeugenden Saisonstart bereits vor seinem Sieg in Florida wieder. Der große Erfolg auf dem Champion Course des PGA National bringt ihn nun auf den 32. Rang der Weltrangliste nach vorne – und sichert ihm nebenbei die Teilnahme am Masters. Erstmals seit 2016 darf er wieder Runden auf den heiligen Bahnen des Augusta National drehen.
Vorfreude auf Augusta
"Da ich in Georgia aufgewachsen bin, bedeutet mir das Masters alles", verrät er nach seinem Triumph. "Als ich das letzte Mal gespielt habe, waren meine beiden älteren Söhne, Sawyer und Foster, gerade zwei Jahre und etwa vier Monate alt. Wenn ich jetzt zurückkehre, werden sie 11 und 9 Jahre alt sein, und Wilder, mein dritter Sohn, wird fünf Jahre alt sein. Der Par-3-Wettbewerb kann gar nicht früh genug kommen. Ich freue mich schon sehr darauf. Die ganze Woche, aber allein die Möglichkeit, diese Erinnerungen mit meiner Frau und meinen Kindern zu sammeln, wird großartig sein."
Erst die Familie, dann die Karriere – es ist eine Aussage, die gut ins Bild passt und die aktuellen Prioritäten im Leben des nun fünfmaligen Tour-Siegers beschreibt. In Interviews betont Kirk auch immer wieder, wie wichtig es für ihn ist, sich seiner Alkoholsucht zu stellen und offen darüber zu sprechen, um anderen Menschen zu helfen, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben.
"Ich verdanke alles, was ich in meinem Leben habe, meiner Abstinenz" erklärte er beim Pressegespräch nach der Finalrunde. "Ich würde das nicht mehr beruflich machen. Ich hätte wahrscheinlich nicht mehr die Familie, die ich jetzt habe. Ich war wirklich kurz davor, alles zu verlieren, was mir wichtig war. Dass ich es geschafft habe, verdanke ich natürlich einigen Entscheidungen, die ich getroffen habe, aber vor allem der Gnade Gottes und einer Menge anderer Menschen, die mir auf meinem Weg geholfen haben."
Kirk hat am Sonntag bei der Honda Classic zweifelsohne einen sehr bedeutenden Sieg errungen – den wichtigsten Erfolg seines Lebens hat er allerdings abseits des Golfplatzes gefeiert.
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