GBGO 2022

Nastasia Nadaud spielt im GC St. Leon-Rot in ihrer eigenen Liga


4. Juni 2022 , Matthias Lettenbichler


Mit einem Birdie-Birdie-Birdie-Finish stellt die Französin Nastasia Nadaud den 65er-Platzrekord auf dem Rot-Parcours ein, notiert nach drei Runden gesamt 15 unter Par und feiert den bislang größten Sieg ihrer Golfkarriere. Foto: DGV/mat
Mit einem Birdie-Birdie-Birdie-Finish stellt die Französin Nastasia Nadaud den 65er-Platzrekord auf dem Rot-Parcours ein, notiert nach drei Runden gesamt 15 unter Par und feiert den bislang größten Sieg ihrer Golfkarriere. Foto: DGV/mat

Die Französin Nastasia Nadaud feiert bei der German Boys & Girls Open 2022 im GC St. Leon-Rot einen beeindruckenden Start-Ziel-Sieg und spielt dabei in ihrer eigenen Liga. Die 17-Jährige steigert sich mit Runden von 69, 67 und am Finaltag 65 Schlägen von Tag zu Tag und hat nach 54 Löchern der Damenkonkurrenz fünf Zähler Vorsprung vor der Tschechin Denisa Vodickova (70, 71, 65/-10), wobei beide am Finaltag einen neuen Platzrekord aufstellen; Rang 3 geht mit 8 unter Par (72, 69, 67) an die Engländerin Lottie Woad. Beste Deutsche im international hochkarätig besetzten Feld ist Helen Briem vom Stuttgarter GC Solitude, die mit 7 unter Par (72, 68, 69) einen hervorragenden 4. Rang belegt.

St. Leon-Rot – Da spielst Du einen neuen Platzrekord, eine 65er-Runde in brütender Hitze, schlägst den ganzen lieben langen Tag perfekte Drives Mitte Bahn und jedes Eisen fast tot an den Stock, puttest wie eine Göttin und hast am Ende doch nicht den Hauch einer Chance. Liegst fünf Schläge hinter der Siegerin, die von ihren Landsleuten nach dem letzten Putt frenetisch gefeiert und mit Mineralwasser übergossen wird – richtig, Mineralwasser, wir sind schließlich bei einem Jugendturnier. Für Denisa Vodickova gab es freilich keinen ernsthaften Grund, unglücklich über den Verlauf dieser German Boys & Girls Open 2022 zu sein – ganz im Gegenteil. Die letztlich Zweitplatzierte vom tschechischen Beskydský Golf Club zeigte sich die ganze Woche über in Bestform, lieferte Runden von 70, 71 und 65 Schlägen ab – neuer Platzrekord war das für den Parcours „Rot“, der als Standard eine 72er-Runde vorsieht, und für die 17-Jährige die Bestätigung, dass sie auch in der Saison 2022 zur absoluten Spitze der U18-Golferinnen in Europa zählt; im letzten Jahr war auch sie Teil des Teams Europa beim Ping Junior Solheim Cup.

Impressionen vom Finaltag >>>


Doch dieser neue Platzrekord, am späten Nachmittag des 4. Juni 2022 aufgestellt von Denisa Vodickova in der drittletzten Gruppe des Tages, hatte keine halbe Stunde bestand. Denn es kam in dieser Turnierwoche in St. Leon-Rot wirklich ganz dicke für den Platz „Rot“. Der ist zweifellos der etwas weniger Spektakuläre der beiden Meisterschaftsplätze des Clubs, wenngleich vielleicht sogar ein wenig anspruchsvoller als der optisch attraktivere „St. Leon“. Am ersten Turniertag wehrte sich Rot noch erfolgreich gegen den Ansturm der Jugend, drei 69er-Runden waren alles, was er den jungen Damen gewährte. Doch dann kam es geballt: Zunächst zerlegte am zweiten Wettspieltag, an dem sich die jungen Herren mit Rot messen durften, der Münchner Tim Wiedemeyer den Parcours mal eben mit einer 64er-Runde, acht unter Par. Damit war zum einen der bisherige Platzrekord des südafrikanischen Tourspielers Nick Price aus dem Jahr 1999 Geschichte – ja, eine Bestmarke aus dem letzten Jahrtausend, als keiner der Teilnehmer der GBGO 2022 auch nur in Planung war -, zum anderen spielte Wiedemeyer die Konkurrenz aus ganz Europa an die Wand. Und dann, kaum hatte sich Rot über Nacht von diesem Schock erholt, seine Fairways und Grüns am frühen Morgen vorsichtshalber sogar noch mit ein wenig Regen benetzt und damit langsamer gemacht, gleich der nächste Affront.

Am Finaltag der GBGO 2022 traten nun wieder die Damen auf dem 5748 Meter langen Par-72-Parcours an – und ließen auch seiner weiblichen Seite keine Chance: Zunächst verbesserte die Tschechin Denisa Vodickova den Platzrekord der Ladies auf 65 Schläge, notierte wie Wiedemeyer am Vortag bei den Herren acht Birdies, allerdings auch ein Bogey an der 17. Und dann kam es noch dicker für den exzellenten Parcours, der sich wie auch der Kollege St. Leon in absolutem Tour-Zustand präsentierte, wie übrigens das gesamte Setup in St. Leon-Rot: Die Bestmarke hatte nur wenige Minuten Bestand, denn als die Französin Nastasia Nadaud, die das Turnier vom ersten Tag an ununterbrochen anführte, das 18. Fairway hinunter schritt, hatte sie an der 16 und 17 gerade ihre Birdies Nummer 6 und 7 an diesem Tag erzielt. Und weil sie da schon „im Flow war“; wie der deutsche Bundestrainer Sebastian Rühl später feststellte, stand auch das 18. Grün auf verlorenem Posten: Aus 15 Metern schob Nastasia Nadaud ihren Putt zum Sieg und zu ebenfalls einer 65er-Runde ins Loch. „Fast wie in Trance“, so erzählte sie später. „Ich habe einfach ohne viel nachzudenken gespielt, es war irgendwie ganz einfach und irgendwie völlig automatisch, dass er auch ins Loch rollen würde.“

Das tat ihr Ball, tropfte zum achten Birdie an diesem Tag und zum Gesamtergebnis von 15 unter Par an den Flaggenstock und von dort in die Tasse. Den neuen Platzrekord der Kollegin aus Tschechien hatte sie damit postwendend eingestellt und den größten Turniererfolg ihrer Karriere unter Dach und Fach gebracht – der krönende Abschluss einer absolut perfekten Golfwoche.

54 Löcher, ein einziges Bogey

In den drei Zählspielrunden der GBGO 2022 unterlief Nastasia Nadaud nur ein einziges Bogey, nach einem Dreiputt an Bahn 1 ihrer Finalrunde. „Da war ich offenbar dann doch ein bisschen nervös“, so die 17-Jährige, die golft, seit sie sechs Jahres alt ist, anfangs nur Papa Laurent zuliebe, seit sechs Jahren, weil sie den Sport so sehr liebt. Aufgewachsen in Chambéry, einem 60.000-Einwohner-Städtchen im Herzen des Dreiecks zwischen Lyon, Genf und Grenoble, spielt sie von Beginn an und immer noch im Club Golf d’Aix les Bains im benachbarten Aix-les-Bains am Ufer des Lac du Bourget. Dass es wichtig ist, eine gute Platzstrategie zu haben, hat sie dort gelernt, und wie gut sie diesen für den Erfolg so entscheidenden Teil des Turniergolf beherrscht, das bewies sie in St. Leon-Rot an jedem einzelnen Tag, an jeder einzelnen Spielbahn. Mit der Präzision des sprichwörtlichen schweizerischen Uhrwerks spielte sie ihren Ball auf die Grüns von Rot und St. Leon, versenkte aus dem Umkreis von zweieinhalb Metern alles, und vieles auch aus der Distanz. Die auf den Grüns anzuspielende Seite fand sie dabei mit traumwandlerischer Sicherheit, eine Mischung aus gut vorbereitet und intuitiv.

„Ich habe noch nie so viele Putts gelocht“, so die Siegerin, ganz gleich ob per Up&Down, zum Birdie an der 17 aus 20 Metern oder aus 15 Metern an der 18. Nur ein einziges Bogey unterlief ihr an den drei Turniertagen, drei Putts benötigte sie am ersten Loch ihrer Finalrunde, „da war ich wohl doch ein bisschen nervös“. Was sich schnell legte, gefühlt nochmal aufkam auf den letzten Löchern, doch wie könnte man dem wohl besser entgegenwirken als mit drei Birdies an 16, 17 und 18. „Das Birdie an der 18 war pures Vergnügen! Den wollte ich eigentlich nur dranlegen, dann ging er rein.“

Siegerin im Flow

Im Golf nennt man das Flow, und wer dieses Gefühl erleben darf, der zehrt davon oft noch jahrelang. „Ich wollte einfach nur gute Schläge machen und mich an meine Platzstrategie halten“, so Nastasia Nadaud, „und eine kleine Revanche für letztes Jahr wollte ich auch.“ Da nämlich kam sie beim prestigeträchtigen Turnier in St. Leon-Rot nicht unter die Top 50 und hatte seither das Gefühl, „noch eine Rechnung offen zu haben mit dem dieser wunderschönen Anlage und diesen beiden herrlichen Plätzen“. Ein Jahr später kehrt sie mit viel Erfahrung zurück, strahlt von Beginn an absolute Ruhe und Souveränität aus, und wer sie auf den letzten Bahnen beobachtet hat, musste den Eindruck gewinnen, dass da kein 17-jähriger Teenie dem Turniersieg entgegenschreitet, sondern eine junge Frau auf dem Weg ist zu einer großen Karriere im Golf.

Ob sie die wirklich anstrebt, und wenn ja wie, das will Nastasia Nadaud nun erst einmal in Ruhe überlegen; zunächst die Schule fertig machen, dann mal ein Jahr ohne Zwang sortieren, wohin das Leben sie führen soll. Vielleicht auf eine Universität in den USA, deren Coaches, die bei der GBGO traditionell in Heerschaaren als Späher und Talentsucher für ihre Teams im Einsatz sind, ihr Nachrichten im Minutentakt schickten, oder auch nicht. Wenn auch als Altersgründen nicht mehr zur GBGO, so wird sie doch ganz sicher immer wieder nach St. Leon-Rot kommen, zu den Plätzen Rot und St. Leon, auf denen sie im Juni 2022 den größten Erfolg ihrer bisherigen Karriere feiern durfte.


Blitz, Rauch und Donner am 18. Grün

Feiern ist von jeher eine Disziplin, in welcher der GC St. Leon-Rot ganz weit vorne agiert. Der Platz „Rot“ wusste noch immer nicht ganz, wie ihm geschehen war, da zündete Gastgeber Eicko Schulz-Hanßen am 18. Grün des hübschen St. Leon, der diesmal noch davongekommen war, ein Feuerwerk mit viel Donner, Blitz und Rauch, feierte seine Sieger und freute sich einmal mehr über den starken Auftritt des Nachwuchses, und darüber, dass es ihm erneut gelungen war, das wahrscheinlich bedeutendste Jugendturnier zu veranstalten, das Europa zu bieten hat – genaugenommen zum 18. Mal.

Die GBGO in St. Leon-Rot darf sich mit Fug und Recht den Titel einer inoffiziellen Europameisterschaft der U18-Sportlerinnen und Sportler ans Revers heften, und für die Aktiven des Golf Team Germany, die Lokalmatadorinnen des GC St. Leon-Rot und alle ambitionierten jungen Damen mit deutschem Pass und negativem Handicap-Index war das Turnier in St. Leon-Rot diesmal gleich in mehrfacher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Zum einen war es das erste wieder „richtige und voll besetze Turnier nach Corona“, so Bundestrainer Sebastian Rühl, zum anderen das Präludium zur Team-EM, die für die Mädchen in genau vier Wochen in Island ansteht. Vom 5. bis 9. Juli misst sich der DGV-Nachwuchs auf dem Platz des Oddur Golf Club mit mehr oder weniger genau jenen Spielerinnen, die in St. Leon-Rot am Start waren. Plus mit den Spanierinnen, die diesmal in St. Leon-Rot fehlten.

Platz 2 in der Nationenwertung

Bedingt aussagekräftig für den Leistungsstand im internationalen Vergleich ist da als Maßstab die kleine Nationenwertung, die traditionell nach 36 Löchern der GBGO ausgerufen wird, denn unter anderem lassen Streichergebnisse Spielraum für eine Interpretation der wahren Stärke. Diesmal jedenfalls setzten sich die Schwedinnen vor Deutschland und England durch, die Abstände marginal.

Ein wenig aufschlussreicher ist da schon der Blick aufs Leaderboard der German Boys & Girls Open nach 54 Löchern. „Die harten Fakten sind, dass neun Nationalspielerinnen angetreten und sechs unter die Top 20 gekommen sind. Sie haben gute Leistungen gebracht, letztlich konnte aber nur Helen Briem vorne mitmischen“, analysierte Bundestrainer Sebastian Rühl. „Die anderen bewegen sich um die Top 20 herum, die meisten aber eher außerhalb davon.“

Hochzufrieden zeigte er sich mit der Leistung der Stuttgarterin Helen Briem, die mit 7 unter Par das Siegerpodest nur knapp verfehlte und Vierte wurde. „Das ist in diesem wirklich sehr hochkarätigen Feld eine ganz beachtliche Leistung“, so Rühl. Zumal Briem mit der Last der im letzten Jahr absolut herausragenden Erfolge und mit der Bürde der nominell stärksten Spielerin im Feld angetreten war – ihren Handicap-Index von -7,8 erreicht aktuell keine der Kolleginnen in Europa.

Hinter Briem aber klafft eine doch überraschend große Lücke auf dem GBGO-Siegertableau bis zu den nächsten Sportlerinnen in Schwarz-Rot-Gold: Mit gesamt 1 über Par teilen die Hamburgerin Emilie von Finckenstein und Katharina Anglett vom Stuttgarter GC Solitude Rang 17 untereinander sowie mit der Schwedin Kajsalotta Svarvar. Noch einen Schlag mehr für die drei Runden benötigten Marie-Agnes Fischer vom Münchener GC sowie Tessa Kremser und Charlotte Back vom Gastgeberclub St. Leon-Rot, womit sie Platz 20 teilen. Die 20 weiteren deutschen Spielerinnen beendeten das Turnier außerhalb der Top 30. Ein Turnier, das zweifellos eine Standortbestimmung ist im Vergleich mit den besten Spielerinnen Europas, und dem in diesem Jahr deshalb ganz besonders große Bedeutung zukommt, weil nun in den nächsten Tagen die Kader für die Team-Europameisterschaft der Mädchen nominiert werden.

Empfehlung für das deutsche EM-Team

So saß denn auch nach der Siegerehrung, als Nastasia Nadaud noch immer wie im Flow Interviews gab und der Rauch der mit Feuerwerk aufgepeppten Pokalübergabe langsam über den See am 18. Grün von St. Leon hinweggewabert war, der Bundestrainer mit seiner designierten EMM-Kapitänin Charlotte Back schwer grübelnd, philosophierend und analysierend auf einem Cart unter den schattenspendenden Bäumen beim Halfwayhaus, das in St. Leon-Rot die beiden Meisterschaftsplätze und die Übungsanlagen auf einzigartige Weise verbindet, und besprach, wer denn nun die deutschen Farben bei der EMM in Island vertreten soll.

Das Ergebnis der Überlegungen präsentiert der Bundestrainer in den kommenden Tagen, verriet aber bereits: „Wir haben sehr ähnliche Ansichten und eine gute Vorstellung davon, wie der Kader aussehen könnte.“ Das Turnier habe „ein paar Überlegungen bestätigt und einige Fragen geklärt“ und sei vor allem der hohen Qualität des Feldes wegen sehr aufschlussreich gewesen. Rühl: „Die Konkurrenz war extrem gut. Man merkt: Covid ist vorbei! Es waren hier acht Junior-Solheim-Cup-Spielerinnen aus dem letzten Jahr am Start – das sagt alles über die Qualität des Teilnehmerfeldes aus.“

Dass die Crème de la Crème des Golf-Nachwuchses Europas jedes Jahr mit Freude in St. Leon-Rot aufteet, das überrascht den Bundestrainer nicht: „Es gibt kein Turnier, zu dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer oder auch die Coaches lieber kommen. Die Aktiven erleben hier in einem U18-Feld an vielen Stellen Tour-Atmosphäre. Die GBGO ist im Jugendbereich das Highlight des Jahres in Europa.“ Und für einige Spielerinnen das Ticket für die EMM im Juli in Island.

Welche das im Auftrag des DGV sein werden, will Sebastian Rühl in den kommenden Tagen an dieser Stelle bekannt geben. Und ganz gleich wer schließlich die Reise in den hohen Norden antreten darf: Ein Wiedersehen mit vielen bekannten Gesichtern ist gewiss, mit Denisa, Nastasia und all den anderen U18-Spitzenspielerinnen Europas, die bei der GBGO im GC St. Leon-Rot so eindrucksvoll ihre Visitenkarte abgegeben haben.