Mentale Stärke
Im Kopf eines Champions
21. Juli 2022 , Felix Grewe
Wie werden Bestleistungen wie die von Cameron Smith auf der Finalrunde der 150. Open Championships möglich? Über die Bedeutung eines ruhigen Verstandes als Grundlage für große Siege.
Man hätte gern einen Blick in den Kopf von Cameron Smith geworfen, als er auf den letzten Bahnen der 150. Open Championship dem größten Triumph seiner bisherigen Laufbahn als Golfprofi immer näherkam. Was denkt ein Spieler, wenn er ein Birdie nach dem anderen fabriziert und die wenige Stunden zuvor noch hypothetische Vorstellung vom Sieg mit jedem meisterhaften Putt greifbarer und wahrscheinlicher wird?
Die Antwort dürfte einerseits enttäuschend ausfallen, weil sie wenig spektakulär und irgendwie abgedroschen klingt. Andererseits ist sie bedeutungsschwer, weil sie mit wenigen Worten die mentale Voraussetzung für spektakuläre Leistungen erklärt: Smith hat vermutlich wenig gedacht. Er hat gewiss nicht nichts gedacht, denn der zen-artige Zustand völliger Gedankenstille lässt sich höchstens für kurze Momente konservieren, bis sich wieder ein Gedanke anschleicht, ausbreitet und vervielfältigt. Aus diesem Grund – denn auch ein Profisportler kann die Funktionsweise des Verstands nicht aushebeln – wird Smith seine Aufmerksamkeit in den letzten Stunden und Minuten vor seinem ersten Majorsieg immer wieder auf einen bestimmten Fokus gelenkt haben. Vielleicht auf seine Atmung, auf seine Schritte über den berühmten Old Course, auf Geräusche in der Umgebung oder etwas anderes. Hauptsache weg von der Angst doch noch zu scheitern und den Zweifeln an der eigenen Konstanz, die normalerweise in solchen Phasen eines Wettkampfs unangenehm penetrant sein können.
Die Kunst der entspannten Konzentration
Smith wird sich nicht sonderlich bemüht haben, sich zu konzentrieren. Denn Mühe bedeutet Anstrengung und die basiert auf der Furcht vor dem Misserfolg und sorgt für Verkrampfung. Die Kunst einer entspannten Konzentration liegt in ihrer Natürlichkeit und in einer möglichst wenig bewertenden Aufmerksamkeit. Bedeutet: Fehler werden analysiert, aber ohne Frust oder harsche Selbstkritik akzeptiert, Zauberschläge werden ebenso hingenommen, ohne in Euphorie zu verfallen. So wird der Geist ruhiger – die Grundlage eines ehrlichen und tiefen Selbstvertrauens. Es kann bei Smith nur so oder sehr ähnlich gewesen sein, denn eine Finalrunde im Kampf und den Titel beim ältesten Golfturnier der Welt ohne Bogeys und stattdessen mit acht Birdies zu absolvieren, erscheint nur möglich, wenn sich das Vertrauen in die eigene Stärke so sicher anfühlt wie die Bank von England.
Das Reduzieren von Selbstzweifeln lässt Angst kleiner werden
„Egal wie stark der Druck beim Lesen irgendeines Grüns ist, wir haben nur dann Angst, wenn wir an unserer Fähigkeit, den Ball zu versenken, gezweifelt haben. Die Angst wächst in dem Maß, wie der Glaube an die Kompetenz abnimmt. Wenn wir unsere Selbstzweifel dämpfen können, schwinden unsere Ängste“, schreibt Bestseller-Autor Timothy Gallwey, einer der Pioniere des modernen Coachings, in seinem Klassiker „Inner Game Golf“.
Smith muss bei seinem Triumph in St. Andrews sämtliche Selbstzweifel auf ein bewundernswertes Minimum reduziert haben. Anders ist sein Comeback auf der Schlussrunde nicht zu erklären. Vier Schläge Rückstand hatte der Australier vor den letzten 18 Bahnen auf den haushohen Favoriten Rory McIlroy und den Norweger Viktor Hovland. Am Ende nahm er dem einen sechs und dem anderen zehn Schläge ab – eine Aufholjagd die lange in Erinnerung bleiben wird.