Psyche
Das Spiel im Kopf – Teil eins: Fünf Tipps für mehr mentale Stärke
20. November 2022 , Felix Grewe
Golf gilt als eine der mental anspruchsvollsten Sportarten. Nervosität vor dem Abschlag, Selbstzweifel im Bunker oder zittrige Knie vor dem entscheidenden Putt gehören (fast) immer mit zum Spiel. Aber wie umgehen mit diesen Situationen? Im ersten dieser zweiteiligen Geschichte stellen wir Ihnen fünf Tipps zum Selbst-Coaching vor.
Tiger Woods sagte vor einigen Jahren einmal einen bemerkenswerten Satz: „Golf spielen ist für mich wie ein Buch zu lesen, wenn der Fernseher läuft.“ Es war seine Antwort auf die Frage, wie herausfordernd es für ihn sei, sich bei großen Turnieren zu konzentrieren – vor allem auf den letzten Bahnen, wenn es um den Sieg geht und an den Grüns oft Tausende Fans warten, die jubeln, schreien und manchmal eine Atmosphäre entstehen lassen, die eher an ein Fußballstadion erinnert. Der nach Jack Nicklaus erfolgreichste Golfspieler der Geschichte erklärte seine Aussage folgendermaßen: „Wenn man ein Buch liest und alles verstehen kann, obwohl nebenbei der Fernseher dröhnt, übertönt man mit seiner eigenen Konzentration den Lärm und lernt, sich nur auf das zu fokussieren, was wichtig ist – und alles andere auszublenden. Man weiß zwar immer noch, dass der Fernseher da ist, aber man lässt sich nicht von ihm ablenken. Das ist so, als würde man sich inmitten einer Schar von Fans auf seinen nächsten Golfschlag konzentrieren.“
Schließen Sie die Lücke zwischen Potenzial und Leistungen
Was Woods so einfach und anschaulich beschreibt, ist ein Erfolgsgeheimnis vieler Spitzensportler – und gleichzeitig ein zentraler Grundsatz der „The Inner Game“-Methode von Timothy Gallwey. Der heute 83-Jährige wird oft als „Ur-Vater des Coachings“ bezeichnet. In den 70er-Jahren entdeckte der US-Amerikaner auf einem Tennisplatz in Kalifornien seine inzwischen weltberühmte Idee vom „inneren Spiel“, landete anschließend mit „The Inner Game of Tennis“ einen Weltbestseller und transportierte seinen Ansatz von der entspannten Konzentration als Basis für Bestleistungen in verschiedene Lebensbereiche – auf die Skipiste, in die Businesswelt und auch auf den Golfplatz. „Die Unterschiede in Sachen Talent sind noch kein Grund dafür, dass wir auf der Driving Range so viel besser schlagen als in der Hitze eines Wettkampfs. Sie sind auch kein Grund für unsere so unterschiedlichen Scores“, schreibt Gallwey in seinem Buch „Inner Game Golf“. Darin heißt es an anderer Stelle: „Ziel des Inner Game ist es, die unnötig große Lücke zwischen unserem Potenzial und unseren tatsächlichen Leistungen zu schließen, um beständiger Freude am Spiel zu empfinden.“
Die folgenden fünf Impulse bringen Ihnen nicht nur Gallweys Gedanken zu den Herausforderungen des Golfspiels näher. Sie helfen Ihnen auch, die drei wesentlichen Fertigkeiten für Ihr inneres Spiel zu entwickeln: Aufmerksamkeit, Entscheidungskraft und Vertrauen.
1) Erkennen Sie die zwei Spiele beim Golf!
Alles beginnt mit der Erkenntnis, dass wir in jedem Moment unseres Lebens zwei Spiele bestreiten – ein äußeres und ein inneres. Im äußeren Spiel geht es darum, Leistungsziele zu erreichen. Zum Beispiel einen Ball mit so wenigen Schlägen wie möglich in ein Loch zu befördern. Parallel dazu findet das innere Spiel statt – gegen Hindernisse wie Selbstzweifel, Versagensängste, Vergleiche oder Erwartungen. „Beide Spiele hängen unmittelbar miteinander zusammen. Nur erhalten sie selten die gleiche Aufmerksamkeit“, so Gallwey.
2) Die Stimme in Ihrem Kopf – wer spricht da eigentlich mit Ihnen?
Kennen Sie diese inneren Dialoge vor einem Putt oder nach einem verzogenen Abschlag? Sie können in etwa so klingen: „Wenn du den nicht lochst, machst du dich endgültig zum Deppen!“ Oder: „Was für ein schrecklicher Drive das wieder war, der macht dir die ganze Runde kaputt, du Blödmann!“ Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wer bei diesen inneren Dialogen mit wem spricht?
Gallwey hat das Modell von Selbst 1 und Selbst 2 entwickelt. Selbst 1 ist der Kommentator in Ihrem Kopf, der Anweisungen gibt, bewertet, beurteilt und vergleicht. Selbst 2 ist der Macher, der mit allen vorhandenen menschlichen Fähigkeiten und einem selten ausgeschöpften Potenzial für die Umsetzungen zuständig ist – also beim Golf dafür, den Ball möglichst präzise zu schlagen. Die Beziehung zwischen Ihrem Selbst 1 und Ihrem Selbst 2 ist nach dem Inner Game-Ansatz der entscheidende Faktor für Ihre Leistungen. Das Ziel besteht darin, Störungen von Selbst 1 zu reduzieren und das Vertrauen in Selbst 2 zu stärken. Denn bei einer biomechanisch so komplexen Tätigkeit wie einem Golfschwung ist Ihr Selbst 2 wesentlich kompetenter als Selbst 1. Gallwey rät: „Kämpfen Sie nicht gegen Selbst 1 – es wird niemals vollkommen schweigen. Nehmen Sie es stattdessen bewusst wahr. Nur so können Sie sich aus der Gedankenspirale befreien.“
3) Üben Sie sich in Lockerheit!
Verkrampfung ist der häufigste Grund für Fehler – und gleichzeitig einer der größten Unterschiede zwischen dem Schwung eines Amateurs und dem eines Pros, bei dem alles so wunderbar leicht aussieht. Verkrampfung entsteht häufig, weil mehr Muskeln als notwendig angespannt werden. Oder weil die angespannten Muskeln nicht mehr richtig entspannen, woraus Störungen von Kraft und Kontrolle resultieren. „Die schlimmste Anspannung entsteht bei dem Versuch, den Schwung zu kontrollieren“, schreibt Gallwey. Sein wichtigster Rat lautet deshalb: Seien Sie achtsam und bemerken Sie, wann diese Verkrampfungen auftreten! Und: Summen Sie bei Ihrem Schwung mit dem Rhythmus! Lauschen Sie dabei Ihrem Summen. „Die hörbaren Geräuschveränderungen Ihres Summens weisen Sie darauf hin, was in Ihrem Körper passiert. Schwingen Sie locker, dann klingt Ihr Summen sanft und gleichmäßig. Je mehr sie verkrampfen, desto gepresster wird Ihr Summen“, erklärt Gallwey.
4) Besiegen Sie Ihre Selbstzweifel!
Der zweifache Major-Champion Ben Crenshaw gab einmal zu Protokoll: „Ich bin etwa fünf Zentimeter davon entfernt, ein hervorragender Golfer zu sein. Das ist der Abstand zwischen meinem linken und meinem rechten Ohr.“ Sie sehen: Auch die besten Golfer der Welt sind niemals frei von Selbstzweifeln und Versagensängsten. „Egal wie stark der Druck beim Lesen irgendeines Grüns ist, wir haben nur dann Angst, wenn wir an unserer Fähigkeit, den Ball zu versenken, gezweifelt haben. Die Angst wächst in dem Maß, wie der Glaube an die Kompetenz abnimmt“, erläutert Gallwey. Sein goldener Tipp: „Wenn Sie schon zweifeln, dann zweifeln Sie häufiger an Ihren Zweifeln!“ Er rät, sich immer wieder an die Unterscheidung zwischen der Stimme des Zweifels (Selbst 1) und den vorhandenen Fähigkeiten von Selbst 2 zu erinnern. Gallwey: „Wenn der Zweifel an Ihre Tür klopft, gibt es niemanden, der Ihnen befiehlt, ihn hereinzulassen, geschweige denn, ihn an den Tisch zu bitten.“
5) Machen Sie öfter einen STOP!
Viele dieser Impulse mögen zunächst sehr theoretisch klingen. Es ist leichter gesagt als getan, den Zweifel nicht hereinzulassen, wenn er schon vor der Tür steht. Ein Hilfsmittel, das laut Gallwey die Grundlage für alle anderen Handwerkszeuge aus dem Inner Game-Baukasten ist, nennt sich STOP! Der Meistercoach verspricht, dass es in jeder Lebenslage hilfreich sein kann, um bewusste und klare Entscheidungen zu treffen – natürlich auch auf dem Golfplatz. STOP steht für folgende Anweisungen: Step back – also machen Sie gedanklich einen Schritt zurück. Verlassen Sie Ihre eigene Situation, betrachten Sie sie von außen. Think – halten Sie kurz inne, denken Sie bewusst nach. Was passiert hier gerade? Worum geht es wirklich? Welche Optionen haben Sie? Organize – sortieren Sie Ihre Gedanken! Machen Sie sich klar, dass Sie frei entscheiden können, was Sie tun und was Sie denken wollen. Proceed – erst jetzt fahren Sie fort, mit klarem Geist und einer neuen Perspektive. Sie können jederzeit einen STOP machen, zum Beispiel auf dem Weg zu Ihrem Ball nach einem misslungenen Schlag. Oder vor einem Putt… wann immer sich Ihr Gedankenkarussell stärker zu drehen beginnt. Gallwey: „STOP unterbricht das automatische Handeln und Reagieren. Sie wechseln von der unbewussten auf eine bewusstere Ebene.“