Olympia

Auch ein Systemerfolg, Teil 2


19. August 2024 , Stefan Bluemer


Auch das ist Olympia: Golfer treffen auf Fußball-Legende Horst Hrubesch (© DGV)
Auch das ist Olympia: Golfer treffen auf Fußball-Legende Horst Hrubesch (© DGV)

Marcus Neumann zieht als Vorstand Sport im DGV ein überaus positives Fazit aus den Olympischen Spielen von Paris. Natürlich überstrahlt die Silbermedaille von Esther Henseleit alles, aber auch die anderen Athleten haben sich hervorragend präsentiert. Golf.de hat kurz nach seiner Rückkehr aus Paris mit Marcus Neumann über dessen inzwischen dritten Spiele nach Rio und Tokio gesprochen. In drei Teilen bringt golf.de das Interview, das unter den überwältigenden Eindrücken des Treffens der Jugend der Welt geführt wurde.


Interview Teil 2

Frage: Wie bewerten Sie das schlaggleiche Abschneiden von Matti Schmid und Stephan Jäger?

Marcus Neumann: Im Verhältnis zu anderen Sportarten ist der geteilte 26. Platz beider bei den Männern viel näher an der Spitze und nicht so weit weg von einer Medaille wie es sich liest. Die 60 Athleten liegen im Score und in ihren Möglichkeiten, tiefe Ergebnisse zu schießen, vergleichsweise eng zusammen und das Bild im Livescoring wechselt ständig. Dabei sind unsere Spieler des Elite Team Germany sehr unterschiedlich. Stephan Jäger spielt sehr schnell und intuitiv, während Matti Schmid mehr bewusst analysiert und akribisch an jeden Schlag herangeht. Es sind zwei völlig verschiedene Charaktere und Spielweisen, aber trotzdem kommen beide am Ende gleich über diesen Platz. Stephan Jäger lebt zwar schon lange in den USA, war aber ein echt toller Botschafter für Deutschland, insbesondere auch in den Interviews. Sogar dessen Frau Shelby, eine US-Amerikanerin, trat immer in oder mit Schwarz-Rot-Gold auf. Und obwohl Stephan und Matti von der PGA Tour auch große Zuschauermassen gewohnt sind und das Setup der Turniere in den USA meist viel voluminöser ist als in Europa, waren beide von der Größe des olympischen Golfturniers in all seinen Facetten überwältigt. Damit hatte einfach niemand gerechnet, was auf Le Golf National und drumherum abging.


Frage: Was fällt Ihnen zur Woche mit den beiden Damen ein?

Marcus Neumann: Esther Henseleit ist als die erfahrenere Spielerin angereist. Da hatten wir ohnehin ein gutes Gefühl. Aber Alexandra Försterling hat uns von Beginn an sehr beeindruckt. Sie hatte schon während des Turnierverlaufs bewiesen, in welchem sie von Tag zu Tag, von Loch zu Loch stärker wurde, dass sie schnell umsetzen und mit der großen Aufmerksamkeit umgehen kann. Aber beide mussten dennoch mit einem besonderen Setting, in welchem das Turnier eingebettet ist, zurechtkommen. Teil des Team-D zu sein mit allen Pflichten und Aufgaben, Schlafen im 4-er Appartement auf harten Pappkartonbetten, auf denen man aber besser schlief, als vielfach in den Medien beschrieben wurde, tägliche lange An- und Abreisen mit dem Bus, Besuche im Deutschen Haus, Medienanforderungen und vor allem Ablenkungen und das wuselige Leben im Olympischen Dorf und …und … und. Die Herausforderungen waren ganz anderer Natur als bei einem Turnier auf der LPGA. Damit klarzukommen, seinen Rhythmus bei Vor- und Nachbereitung anzupassen, dann dennoch Höchstleistung abzurufen, das ist für alle Athleten bei Olympischen Spielen der leistungs- und erfolgsbestimmende Faktor. Esthi und Alex haben das sehr gut bewältigt.


Dennoch, dem Anfangsdruck, vor tausenden Menschen um Dich herum auf Tee 1 abzuschlagen, wenn gerade für die Französin noch die Marseillaise geschmettert wurde, dem muss man erstmal standhalten können. Diese Atmosphäre macht was mit Dir.
Esther Henseleit hat bereits eine beeindruckend gefestigte Psyche. Unter höchstem Druck so abzuliefern, ist echt herausragend. Wahnsinn. Nach schlechtem Start auf den ersten beiden Löchern der ersten Runde mit Doppel-Bogey-Bogey hat sie Round One zu einem richtig guten Ende gebracht und hat dabei offenbar selbst zu keinem Moment gezweifelt, noch ganz nach vorne springen zu können. „Ich lasse mich doch von so einem Start nicht beeindrucken. Ihr wisst doch, was ich kann“, so ihre Worte nach drei Birdies auf den letzten vier Löchern der Auftaktrunde. Sie hat ein stabiles Vertrauen in ihr Können, weiß zu jeder Zeit, wo sie was riskieren kann und was eben nicht, so dass sie sich damit auch das Momentum in der Woche verdient hat. Die Medaille war keine Überraschung und erst recht keine Sensation. Die Chance, eine Medaille zu gewinnen, ist für eine so gefestigte Athletin dann groß, wenn sie so eindrucksvoll abliefert.


Ein wesentlicher Unterschied zwischen Golf und vielen anderen Sportarten ist, dass im Golf jede Spielerin, jeder Spieler des olympischen Turniers schon mal eine 65 gespielt hat. Das vier mal hintereinander reicht immer für die Goldmedaille. Im Sprint wird niemand plötzlich in 9,5 Sekunden die 100 Meter laufen, der bisher als persönliche Bestleistung eine 10,5 in den Büchern hat. Daher steht insgesamt fest, dass Esther diese Silbermedaille nicht glücklich oder überraschend gewonnen hat, sondern einfach nur verdient.


Frage: Sie haben ganz persönlich schon vorher Erfahrungen mit Le Golf National gemacht. Nicht nur als Zuschauer beim Ryder Cup, sondern auch bei der Team-WM, die dort vor zwei Jahren stattgefunden hat. Alexandra Försterling war dabei, Bundestrainer Stephan Morales war dabei und Deutschland hatte am Ende die Bronzemedaille gewonnen, selten knapp die goldene verpasst. Wie sehr spielt diese Stufe von Team-WM zu Olympischen Spielen der Vision Gold in die Karten? Was von der Vision Gold haben Sie auf diesem Weg wiedergefunden und als Bestätigung für deren Wirksamkeit gesehen?

Marcus Neumann: … mit nur einem Schlag Rückstand auf Gold möchte ich hinzufügen!
Die Franzosen haben, wie wir auch, einen großen Leistungssportplan. Bei ihnen war Teil des Unternehmens, eine Kette von Großereignissen nach Frankreich zu holen, um dann in Europa die Nummer 1 im Leistungssport, gerade im Golf, zu werden. Auch der Ryder Cup war in dieser großen Kette nur ein Baustein, wenn auch ein wesentlicher. Ziel war stets, den Leistungssport im eigenen Land zu befeuern und nachhaltig zu sichern. Dazu gehören Großereignisse genauso wie ein wirksames Trainings- und Fördersystem. Klarer Seitenhieb von mir hierzu: Diese Erkenntnis von Zusammenhängen fehlt in Deutschland derzeit, auch bei den Entscheidern, wenn über die „deutsche Medaillenmisere“ gesprochen wird. Und wenn doch mal hilfreiche Ansätze wie „Sportkultur breit und von unten aufbauen!“ diskutiert werden, aber dann keine praktischen Konsequenzen für die Sportentwicklung gezogen werden, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn es in LA 2028 noch „schlimmer“ hinsichtlich der gewünschten Medaillenausbeute wird. Allein der öffentlich proklamierte Wille wird es nicht richten. Die Olympischen Spiele, ob im eigenen Land oder woanders, bieten immer eine identifikationsstiftende Chance für unsere Gesellschaft mit allen positiven Auswirkungen, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu erzeugen. Das kann so nur der Sport und dabei geht es nicht ums Medaillenzählen. Diese Chance wird nahezu täglich verpasst!


Aber zurück zur Vision Gold. Diese ist nicht nur ein griffiger Claim, er drückt aus, dass Wettkampf, Training und Förderung einen langen Weg Hand in Hand gehen müssen, ehe sich der Erfolg einstellt und die Leistungssportkultur gesichert steht.
Wie die Franzosen, so stärken auch wir unser System über nationale und internationale Amateur- und Profi-Events, alles im Rahmen unserer Möglichkeiten. Erfolgreiche Beispiele für Golfdeutschland ist die einzigartige Deutsche Golf Liga, unsere so wichtige German Challenge auf der Challenge Tour, wir unterstützen das einzige LET-Turnier, die Amundi German Masters, auf deutschem Boden und natürlich freuen wir uns über die erfolgreichen BMW International Open und European Open bei den Herren. Alles Turniere, auf denen sich unsere Athleten entwickeln und, ganz wichtig, aus motivationalen Gründen, sich vor eigenem Publikum zeigen können. Aber, davon bin ich überzeugt, hier darf Golfdeutschland nicht nachlassen, eher muss an Internationalem noch mehr auf deutschem Boden stattfinden, gerade im weiblichen Bereich und auf Amateurebene. Wie in Frankreich, wo jedes Jahr im Amateur- und Profibereich große internationale Wettkämpfe in allen Altersklassen aufgesetzt werden, nicht nur im Top-Bereich, auch in den unteren Ebenen. Es gibt dort mehrere LET-Access- und mehrere Challenge-Tour-Events, á la bonne heure, sag ich nur.
Die Team-WM in Paris 2022 war für uns ein Meilenstein, hat einen Vorgeschmack auf die Olympischen Spiele gegeben und mit der Bronzemedaille ein Zeichen gesetzt, wir sind in der Leistungssteuerung auf dem richtigen Weg. Und übrigens: Alexandra Försterling war damals dabei.

Frage: Sie sprechen vom Leistungssportplan der Franzosen. Was heißt das in der Konsequenz für uns?

Marcus Neumann: Wer Erfolg im Leistungssport haben will, muss sowohl plan- als auch kraftvoll arbeiten: Kraftvoll heißt aber auch, nachhaltig investieren. Ich habe nicht zuletzt jetzt in Paris gesehen, wie inzwischen auch in anderen Nationen der Golfsport gefördert wird. Wir haben eine starke und inzwischen sehr breite globale Konkurrenz. Wie auch wir in der Vision Gold die Aus- und Fortbildung der Trainer in den Mittelpunkt stellen und seit geraumer Zeit - mit wissenschaftlicher Unterstützung – mit einem neuen Ansatz erneut Impulse geben, schläft aber auch hier die Konkurrenz nicht. Und schließlich das unmittelbare Fördersystem um unsere Athleten herum. Hier droht uns das zentralgesteuerte Frankreich, ausgestattet mit dem olympischen Rückenwind, über kurz oder lang zu enteilen. Wir haben es mit den Maßnahmen und Programmen der Vision Gold bis in die TOP 3 Europas geschafft, betrachtet man alle Leistungsebenen. Das wollen wir unbedingt halten. Aber keine Sportart hält eine gesunde Entwicklung hoch ohne eine starke leistungsorientierte Kernkomponente.


Mit staatlicher Hilfe haben die Franzosen die Großereignisse geholt, hatten einen goldenen Plan, auch für Golf, sind vom französischen Verband aber jetzt enttäuscht vom Abschneiden. Also auch hier wachsen trotz aller Planungsperfektion die Bäume nicht in den Himmel. Man kann als Verband, auch als Club nur die Wahrscheinlichkeiten für den Erfolg erhöhen, das Momentum des Wettkampfs funktioniert offenkundig noch immer nach eigenen Gesetzen. Das muss man wissen, akzeptieren und berücksichtigen. Das ist Sport. Vielleicht war der Druck für die Franzosen auf IHREM Le Golf National teils doch zu hoch, wenn man das eher schwache Abschneiden jetzt von Delacour und von Pavon betrachtet.

Teil 3 des auführlichen Interviews folgt am Dienstg, den 20. August.