Olympia
Auch ein Systemerfolg
18. August 2024 , Stefan Bluemer
Marcus Neumann zieht als Vorstand Sport im DGV ein überaus positives Fazit aus den Olympischen Spielen von Paris. Natürlich überstrahlt die Silbermedaille von Esther Henseleit alles, aber auch die anderen Athleten haben sich hervorragend präsentiert. Golf.de hat kurz nach seiner Rückkehr aus Paris mit Marcus Neumann über dessen inzwischen dritten Spiele nach Rio und Tokio gesprochen. In drei Teilen bringt golf.de das Interview, das unter den überwältigenden Eindrücken des Treffens der Jugend der Welt geführt wurde.
Marcus Neumann ist es sehr wichtig, dass die Clubs und Verbände diesen großen Erfolg als Ansporn sehen, die richtigen Schlüsse ziehen und die Anstrengungen in der Förderung von Jugend und Talenten erhöhen, denn bei weniger Kindern, die Sport treiben und mehr konkurrierenden Freizeitangeboten, wird es gerade für Golf immer schwieriger, genug Breite an der Basis zu schaffen, um dann auch Talente für die Spitze zu finden und zu fördern: „Niemand spielt auf einer Insel und gewinnt allein. Zuvorderst sind es natürlich die Athleten, die die entscheidenden Putts machen und den Wettkampferfolg erarbeiten. Aber es muss schon auch das Umfeld im langfristigen Leistungsaufbau stimmen. Rational betrachtet sind wir vom Potenzial her in einer Abwärtsbewegung. Wenn zukünftig weniger Kinder mit Sportinteresse da sein werden, werden wir cleverer und früher sichten müssen, um die wirklichen Talente für Golf besser zu erkennen. Und dann gilt es, die wenigen gezielt und intensiv zu fördern.“
Interview Teil 1
Frage: Sie waren als Chef de Mission der Teilmannschaft Golf zwei Wochen in Paris. Welche Begegnung, welches Erlebnis abseits des Golfplatzes bleibt Ihnen besonders in Erinnerung und warum?
Marcus Neumann: Spontan, die Abschlussfeier – allerdings nicht wegen der zweifelsfrei beeindruckenden Inszenierung im Stade de France! Denn von der Choreografie haben wir im Innenraum auch nicht so viel mitbekommen wie die Zuschauer am Fernseher. Sondern weil schon vor der offiziellen Feier hier alle Aktiven und Betreuer aller Sportarten und Disziplinen, losgelöst vom engen Protokoll als eine weltweite Familie kunterbunt durcheinandergewürfelt waren und quasi gezwungenermaßen unter sich feierten. Auf dem Sammelplatz außerhalb des Stadions wurde spontan in ungezwungener Atmosphäre Party gemacht, getanzt, gesungen, mit Artistik und Albernheiten, es wurden frische Erinnerungen ausgetauscht, genauso wie Andenken, Pins, Flaggen, Shirts und einiges mehr. Alles wie im Fußball-EM-Song „völlig losgelöst“. Große Sportstars waren plötzlich verspielte, lustige Normalos. Herrlich!
Frage: Welche Eindrücke bleiben nach Eröffnungs- und Schlussfeier besonders hängen?
Marcus Neumann: Die Eröffnung war bekanntlich verregnet, viele Athleten mussten schon aus gesundheitsprophylaktischen Gründen fernbleiben, aber es war ein tolles TV-Erlebnis und beste Werbung für die Spiele und Paris. Insgesamt hat dann die Abschiedsveranstaltung für uns inklusive der anstrengenden Bustransfers und wegen der Sicherheitsvorkehrungen sieben bis acht Stunden gedauert, teils in brütender Hitze. Aber für diese Mühen wurden alle belohnt. Insgesamt bleibt mir ganz überragend dieses olympische Gefühl in Erinnerung, für die dann doch kurze Zeit von zwei Wochen wirklich „One World“ erlebt haben zu dürfen. Dafür allein bin ich sehr dankbar und ich bin sicher, so haben es die allermeisten der Athleten und Betreuer erlebt.
Frage: Wie haben Sie die Tage auf Le Golf National erlebt?
Marcus Neumann: Unsere Wettkämpfe auf der besten Golfanlage, die man sich für diesen olympischen Anlass vorstellen kann, und die Dramatik um die Medaille werde ich natürlich auch nie vergessen! Jeden einzelnen Schlag nicht und auch nicht diese Spannung nach dem letzten Putt von Esther, ob es für Edelmetall reicht, ob ein Stechen ansteht und welche Medaille es wird. Das war nervenzerfetzend.
Das wunderbare Publikum hat das Ganze großartig eingerahmt. Ich habe selten ein so kompetentes Publikum erlebt, auch in dieser Größenordnung nicht. Die Franzosen haben mehrfach mit der Marseillaise für echte Gänsehaut gesorgt. Bei aller Begeisterung und allem Nationalstolz war es ein durchweg sehr faires und begeistertes Publikum. Es gab immer ehrlichen Applaus für alle guten Schläge. Und die Fans der Nationen haben sich dabei oft lustig-frech und bunt zu erkennen gegeben - einmalig bei einem Golfturnier.
Und dann diese Begeisterung bei den Bürgern von Paris. Da ich immer in Team-D-Kleidung unterwegs sein musste beziehungsweise durfte, wurde ich mehrfach auf der Straße angesprochen, ob ich nicht mein T-Shirt noch tauschen wolle. Trikottausch mal ganz neu interpretiert, einfach so auf der Straße.
Frage: Wie war die Organisation dieser Olympischen Spiele insgesamt?
Marcus Neumann: Insgesamt kann man vor Frankreich nur den Hut ziehen, denn die Organisation war schlichtweg perfekt, die internationalen Volunteers, 45.000 sollen es gewesen sein, top geschult und mit Herz, Seele und Stolz dabei. Das Sicherheitspersonal war überaus freundlich. Wir haben uns immer sehr sicher gefühlt. Einzelne waren mega dankbar für Pins des deutschen Teams. Das war schon etwas surreal, wenn sich schwer bewaffnete Polizisten mit stets freundlichem Gesichtsausdruck fast schon wie Kinder über Pins der Nationen freuten. Das hat uns alle mental sehr entlastet, wenn ich dabei auch an meine vielen Konferenzen und Schulungen – insbesondere auch zur Sicherheit - im Vorfeld der Spiele denke.
Frage: Das Olympische Dorf muss ja die Ausmaße einer kleinen Stadt mit über 10.000 Einwohnern erreicht haben. Wie war das Zusammenleben von Athleten und Betreuern im stetigen Kommen und Gehen?
Marcus Neumann: Jeden Tag haben wir uns auf und über „das Dorf“ gefreut, auf das Aufeinanderprallen aller Nationen in der riesigen Mensa mit Mahlzeiten aus aller Welt und für alle Welt. Man glaubt gar nicht, wieviel Athleten essen können oder müssen. Manchmal Berge auf dem Teller nur eines Athleten, die für eine ganze Kompanie reichen. Es gab ständig ein heiteres Disziplinenraten der Athleten untereinander, ob man am Körperbau erkennen kann, in welcher Disziplin der andere antritt. Alles einmalig und großartig!
Und dies alles dermaßen respektvoll und immer auf Augenhöhe. Keine Sportart nimmt sich wichtiger als andere, keiner ragt heraus, es sei denn die Basketballer und Volleyballer, aber nur in der Körpergröße. Da lernt man auch Weltstars plötzlich auf eine zugewandte und vertrauliche Art kennen und staunt nicht schlecht, wie locker ein Tennisstar mit den 3x3-Basketballerinnen quatscht und sich natürlich nicht schämt zu fragen, wie das Spiel überhaupt funktioniert. Und dies mit offensichtlich ehrlichem Interesse, Respekt, Anerkennung und Wertschätzung. Eigentlich passt Liberté, Egalité, Fraternité auch, denn es war eine scheinbar heile Welt für eine begrenzte Zeit!
Wir waren alle rund um die Uhr hervorragend verpflegt und es gab immer eine Gelegenheit für ein nettes Gespräch, egal ob am Morgen oder nach Mitternacht, nur die Sprachbarrieren verhinderten mehr. Auch Sportler aus Nationen, die nicht gerade als befreundete Staaten gelten, haben sich ohne Berührungsängste wie Freunde unterhalten. Mein Schulkamerad aus Bochum hat mal einen sehr erfolgreichen Song herausgebracht, in dem es heißt „Kinder an die Macht“. Ich würde den Song von Herbert Grönemeyer umtexten und sagen „Sportler an die Macht.“ Die Welt würde friedlicher sein.
Frage: Wie war die Stimmung im Deutschen Haus?
Marcus Neumann: Einfach Wow! Völlig überwältigt war ich vom Empfang von Esther Henseleit mit dem sogenannten „Medal Walk“. Nebelmaschine, Musik und Menschenkorridor bis zur Bühne. Gänsehaut! Die Golf-Medaille wurde dort dermaßen frenetisch gefeiert. In vielen Gesprächen stellte sich mal wieder heraus, dass sehr viele der Gäste selbst Golf spielen. Das Haus ist ein toller Treffpunkt für Athleten, Offizielle, Journalisten, die Wirtschaft, Politiker und viele mehr. Der DOSB hat hier mit der Lokalität im Rugby-Stadion inklusive der Fan-Zone einen Volltreffer gelandet und damit eine Goldmedaille außer Konkurrenz verdient. Golf ist unter Sportlern vieler Disziplinen sehr beliebt, das wissen wir, aber so einen Empfang für Esther habe ich nicht erwartet, sie selbst übrigens auch nicht.
Frage: Was war global gesehen der Unterschied zwischen den beiden Wochen, einmal Herren und danach Damen?
Marcus Neumann: Es war zwar derselbe Platz für Damen und Herren, aber die Herausforderungen, wie zum Beispiel das fette Gras im Rough und um die Grüns, spielten sich für Frauen noch heftiger. Dieselben Grüns waren für Frauen faktisch nur halb so groß. Die Männer konnten mit mehr Spin und passender Flughöhe viele Fahnen direkter anspielen. Denn, wenn die Jungs öfter mal eine 9 oder ein Wedge ins Grün schlugen, mussten viele Frauen trotz des kürzer ausgelegten Platzes in ähnlicher Situation mit längeren Eisen arbeiten. Oft musste auch ein hochfliegendes Hybrid herhalten, um überhaupt das Grün sicher anspielen zu können. Aber insgesamt wurden beide Geschlechter absolut gleichbehandelt, in der Organisation, im Format ohnehin, aber auch im begeisterten Zuspruch der Zuschauer.
Dazu kam bei beiden Wettbewerben der einmalige Druck, in diesem einzigartigen Rahmen der Olympischen Spiele noch für das eigene Land zu spielen. Das ist ganz anders als auf den Tour-Events, wo die Spielerinnen und Spieler streng genommen eher nur die eigenen Erwartungen erfüllen müssen. Dies hier bei den Spielen, davon bin ich überzeugt, entwickelt und stählt die Athleten. Bestes Beispiel ist unsere Senkrechtstarterin, unser Rookie Alexandra Försterling. Gerade mal ein wenig mehr als ein Jahr Profi, die sich mit fulminanter Saison in das Olympische Turnier hineinkatapultiert hat, wird hier unheimlich viel gelernt haben und davon in der weiteren Karriere massiv profitieren.
Teil 2 des auführlichen Interviews folgt am Montag, den 19. August.