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Arktische Notlösungen


5. September 2023 , Redaktion Golf.de


Nuuk Golfklub auf Grönland
Nuuk Golfklub auf Grönland | © Weber/Yovel

Golfen auf Grönland - geht das überhaupt? Die eindeutige Antwort lautet: Jein! In Nuuk, der knapp 20.000 Einwohner zählenden Hauptstadt der größten Insel der Welt, gibt es den einzigen grönländischen Golfplatz - mit neun Bahnen, die sich allerdings sieben eng bemessene Fairways mit importiertem Rollrasen teilen müssen. Ja, auf Grönland wird also Golf gespielt, allerdings unter - in mehrfacher Hinsicht - kraß verschärften arktischen Bedingungen.

Text: Wolfgang Weber

Eigentlich müßte am ersten Abschlag, gleich vor dem Clubhaus, ein Warnschild stehen: „Vorsicht vor Querschlägern und Gegenverkehr“ - am besten dreisprachig, auf Kalaallissut (Grönländisch), Dänisch und Englisch. Denn, wie hatte doch Clubmeisterin Maria Kruuse vor der Runde gewarnt? „Du mußt hier pfeilgerade spielen. Denn wenn du das Fairway nicht triffst, spielt der Ball auf dem felsigen Untergrund Tischtennis.“

Wie ernst diese Warnung zu nehmen ist, zeigt sich schon an Loch 2: Der etwas verunglückte Abschlag von Daniel Thorleifsen hat zu wenig Höhe, um das hinter einer abgeflachten Granit-Kuppe nicht einsehbare schmale Fairway der Par-4-Bahn zu erreichen. Der Ball prallt von einer Felskante ab, springt links weg und vollführt dann zwischen teils nackten, teils mit etwas Moos und Flechten bewachsenen Granitplatten noch ein kurzes, aber heftiges Ping-Pong-Spiel, ehe er, gerade noch spielbar, auf einer kleinen Moosfläche inmitten der Felsen zum Liegen kommt. Mitspielerin Susanne Bisgaard Rasmussen, die schon nach vorne geeilt war, um den Ballflug von einem erhöhten Standort aus zu beobachten, duckt sich nach dem lauten „Fore!“-Ruf Daniels und hat Glück, von keinem Querschläger getroffen zu werden. 

Achtung Gegenverkehr!

Golfregel-Puristen mögen fragen, was die Flightpartnerin da vorne, quasi in der Schußlinie, zu suchen hatte. Doch diese Frage kann nur jemand stellen, der den Golfplatz von Nuuk auf Grönland noch nie gesehen hat. Ohne risikobereite „Späher“ geht auf diesem „unorthodoxen“ 9-Löcher-Kurs gar nichts. Etwa jeder zweite Abschlag erfolgt „blind“; die Fairways sind winzige grüne Oasen in einer kargen, unübersichtlichen Felslandschaft; und lediglich fünf Bahnen sind, wie weltweit auf Golfkursen üblich, „Einbahnstraßen“. 

Auf dem Fairway der 9, der einzigen Par 5-Bahn des Platzes (wenn auch nur, von Gelb, 392 Meter lang), könnten einem die Abschläge der gegenläufigen Bahn 2 um die Ohren fliegen, falls niemand von höherer Warte aus den partiellen „Gegenverkehr“ im Auge hätte, um notfalls zu warnen; auf der östlichen Seite der Anlage haben sich die Flights auf den Bahnen 5 und 6 wenigstens gegenseitig im Blick, wenn sie ein und dasselbe Fairway aus entgegengesetzten Richtungen anspielen. Man mag all dies, vorsichtig ausgedrückt, als „suboptimal“ bezeichnen, aber ein besseres Layout ließ das schwierige Gelände einfach nicht zu. Golf auf Grönland ist wahrlich kein Sport für „Warmduscher“ mit schwachem Nervenkostüm. 

Eine Zangengeburt

Der Golfplatz liegt am östlichen Stadtrand, gleich neben dem kleinen Flugplatz von Nuuk, der sich etwas hochtrabend „International Airport“ nennt, weil hier ein paarmal pro Woche eine Turboprop-Maschine der Icelandair aus Reykjavik landet. Ansonsten bietet Air Greenland von Nuuk aus lediglich etliche Inlandsflüge zu Orten wie Tasiilaq, Sisimiut, Ilulissat oder Nasarsuaq an. Diese Domestic Flights sind essentiell in einem Land, dessen 17 Städte - die kleinste davon, Ittoqqortoormiit an der Ostküste, zählt gerade einmal 353 Einwohner - und 55 Dörfer durch keinerlei Überlandstraßen verbunden sind. Sämtliche Siedlungen sind nur auf dem Luftweg erreichbar - oder per Schiff; aber dies nur in der eisfreien Jahreszeit. 

Der Bau des Golfplatzes in den Jahren 1999 und 2000 war, bei Licht betrachtet, eine echte Zangengeburt. Um der unwirtlichen Felslandschaft in Sichtweite des auch im Hochsommer mit zahlreichen kleinen Eisbergen gespickten Nuuk-Fjords überhaupt einen halbwegs spielbaren Golfplatz abringen zu können, mußten erst 2.000 Kubikmeter Mulch und Mutterboden in Containern aus Dänemark nach Nuuk verschifft werden. 

Bunte Häuser sind typisch für die Orte auf Grönland
Bunte Häuser sind typisch für die Orte auf Grönland | © Weber/Yovel

Mutterboden aus Dänemark, Grassoden aus Island

Mit knapp 2,2 Millionen Quadratkilometern ist Grönland gut sechsmal so groß wie Deutschland. Zu über 80 Prozent ist die größte Insel der Welt von einem bis zu drei Kilometer dicken Eisschild bedeckt. In den während der kurzen Sommer eisfreien Küstenregionen gedeiht lediglich eine karge Tundra-Vegetation. Mit anderen Worten: Außer ein paar seltenen Zwergbirken, Krähen- und Heidelbeeren sowie Moor- und Heidepflanzen wächst auf Grönland so gut wie kein Baum, kein Strauch - und auch kein Gras. Deshalb wurden für die notgedrungen eng bemessenen Fairways rund 45.000 Quadratmeter Grassoden aus Island importiert. 

Die übrigens benötigen in der kurzen, nur von Juni bis September dauernden Outdoor-Golfsaison an Grönlands Westküste viel Pflege: Was die Pflanzen im mehr oder weniger acht Monate langen, eisigen und dunklen Winter quasi verschlafen, holen sie im kurzen Sommer, in dem die Sonne kaum untergeht, mit extrem schnellem Wachstum nach - viel Arbeit also für die Greenkeeper. 

Golf-Simulatoren im Hotel-Keller

Erstmals gespielt werden konnte auf dem mehr oder weniger importierten Golfplatz am Rande der Hauptstadt im August 2000. Dabei war der Nuuk Golfklub bereits 1992 gegründet worden. Die Spielstätte der grönländischen Golfer in den Anfangsjahren? Eine - im besten Sinne - arktische Notlösung: Zwei Golfsimulatoren im Kellergeschoß des Hotels „Hans Egede“ im Stadtzentrum. 

Das größte und komfortabelste Hotel von Nuuk trägt den Namen des „Apostels der Grönländer“ aus dem 18. Jahrhundert ebenso wie eine ganze Bergregion im Nordosten Grönlands, eine Kirche in Kopenhagen und sogar ein Mondkrater auf unserem bei den Inuit (oder Eskimos) einst ebenso verehrten wie gefürchteten Erdtrabanten. Unter den gut 56.000 Grönländern ist „Egede“ bis heute einer der häufigsten Familiennamen; der aktuell in Nuuk regierende Premierminister heißt Mute Bourup Egede.

Jedes Schulkind hier kennt die Geschichte des von den norwegischen Lofoten stammenden lutherischen Pastors, der sich im 18. Jahrhundert die Missionierung der heidnischen Inuit zur Lebensaufgabe machte. Indem er am 3. Juli 1721 mit dem Segelschiff „Habet“ (Hoffnung) - und in Begleitung seiner Frau Gertrud, ihrer vier Kinder und drei Dutzend weiterer Abenteurer im Namen des Herrn und des dänischen Königs - ganz in der Nähe des heutigen Nuuk vor Anker ging und eine erste Missions- und Handelsstation gründete, wurde Grönland zur dänischen Kolonie. Bis heute versteht sich die riesige Insel mit der Mini-Bevölkerung als politisch selbstverwalteter Bestandteil des Königreichs Dänemark, mit Königin Margarete als Staatsoberhaupt.

„Unseren täglichen Seehund gib uns heute“

Die seit drei Jahrhunderten andauernde Bindung ans 3500 Kilometer entfernte Kopenhagen gilt ebenso als das Erbe Hans Egedes wie die Tatsache, daß Grönlands Bevölkerung heute zu nahezu 100 Prozent dem evangelisch-lutherischen Glauben angehört - und das, obwohl es im 18. Jahrhundert alles andere als einfach war, die christliche Heilsbotschaft in die von Schamanen und allerlei bösen Geistern geprägte Vorstellungswelt der Inuit zu implantieren. Wie zum Beispiel übersetzt man das „Vaterunser“ für Menschen, die kein Getreide und somit auch kein Brot kennen? Hans Egede erwies sich als gedanklich und lingual sehr geschmeidig und entschied sich für die an die grönländische Lebenswirklichkeit angepaßte Formulierung „Unseren täglichen Seehund gib uns heute“. 

Freilich sind die damaligen, teilweise rabiaten Methoden der Missionsarbeit Hans Egedes - Originalzitat: „Nichts kann sie (die Inuit) besser zur Vernunft bringen als Schläge und Strafe“ - heute alles andere als unumstritten. An einem Morgen im Sommer 2020 fand man die überlebensgroße Bronzestatue des „Apostels“, die seit über 100 Jahren von einem Hügel aus die Altstadt und den alten Kolonialhafen von Nuuk überblickt, mit kübelweise roter Farbe beschmiert. Am Sockel stand die Parole: „Decolonize!“ Offensichtlich handelte es sich um eine lange geplante Vandalismus-Aktion im Zuge weltweiter Entkolonialisierungs-Debatten und der „Black-Lives-Matter“-Bewegung. 

Eisberg vor Grönlands Küste
Eisberg vor Grönlands Küste | © weber/Yovel

Touristenmagnet Nationalmuseum

Gleich unterhalb des Egede-Denkmals ragt die von einem einheimischen Künstler geschaffene steinerne Statue „Mutter des Meeres“ aus dem Wasser des Kolonialhafens. Mit ihrer Positionierung erinnert sie an die berühmte Kleine Meerjungfrau in Kopenhagen, doch wird die vollbusige Schönheit in Nuuk, Grönland-gerecht, von einem Walroß und einem Eisbär flankiert. Kaum einen Driver-Schlag entfernt am Ufer stehen die historischen Missionsgebäude der Herrnhuter Brüdergemeinde, die heute - ergänzt durch Neubauten - das Grönländische Nationalmuseum und -archiv beherbergen. Die Adresse lautet:  
Hans Egedesvej 8. Wie sonst? Ohne den Missionar geht‘s nicht in Nuuk.

Dies ist der Arbeitsplatz unseres Flightpartners Daniel Thorleifsen. Er leitet das Museum, einen der größten Touristenmagneten Grönlands, seit 2005 als Direktor. Rund 20.000 Einheimische und Touristen jährlich besuchen die diversen Ausstellungen des Nationalmuseums - von der Frühgeschichte Grönlands mit der Einwanderung der ersten Inuit-Kulturen vor rund 4500 Jahren über die Zeit der aus Island gekommenen Wikinger, die vom 11. bis 15. Jahrhundert einige Fjorde an der Westküste als arktische Bauern besiedelten, bis zum kolonialisierten Jägervolk und dem unabhängigkeitsbestrebten Grönland von heute.  

Und das Finale auf dem Ryder-Cup-Platz

Zweimal die Woche, sagt Daniel Thorleifsen, fröne er dem Golfsport, den er vor sieben Jahren für sich entdeckte, als Ausgleich zum stressigen Job als Museumsdirektor: Immer donnerstags trifft er sich mit Freunden zu einer Männerrunde auf dem Golfplatz, und am Sonntag ist er, so oft es geht, Stammspieler beim allwöchentlichen Clubturnier. Noch ein wenig fleißiger betreibt die vor etlichen Jahren der Liebe wegen aus dem dänischen Odense nach Nuuk gezogene Maria Kruuse ihren Sport. In Dänemark einst als Klinikassistentin tätig, arbeitet sie jetzt als Akupunkteurin, unterrichtet in einem Fitneßstudio Zumba und Salsation - und hat kürzlich, bereits zum drittenmal in Folge, die Damen-Clubmeisterschaft gewonnen und dabei ihr Handicap auf 18,7 verbessert. 

Und was passiert golferisch in der „dunklen Jahreszeit“ von Oktober bis Mai? Dann spielen der Inuk Daniel Thorleifsen, die Dänin Maria Kruuse und die anderen 140 Mitglieder des Nuuk Golfklub abwechselnd auf den schönsten Golfplätzen Amerikas, Europas oder Asiens - auf den beiden vielleicht meist genutzten Trackman-Simulatoren der Welt im kleinen, aber gemütlich eingerichteten Clubhaus am Rande des Eisfjords. 

Im nächsten April wird mit Hilfe der Simulatoren dann wieder, an drei aufeinander folgenden Tagen, die grönländische Winter-Golfmeisterschaft ausgespielt. Bei der vergangenen fand die Qualifikation im Portland Golf Club in Oregon und die erste Runde  auf dem Spyglass Hill Golf Course im kalifornischen Pebble Beach statt. Und das Finale stieg - voller Vorfreude auf das golferische Großereignis des Jahres 2023 - im Marco Simone Golf Club nahe Rom. Die Grönländer mögen weder richtig zu Europa noch zu Amerika gehören. Aber wer sagt, daß sie nicht Ryder Cup können?

Infos: Eine Mitgliedschaft im Nuuk Golfklub kostet im Jahr 2000 Dänische Kronen (knapp 270 Euro). Kontakt: [email protected], en.nuukgolf.gl

Die ganze Geschichte erzählt die neueste Episode des Golfreise-Podcasts „EverGreens“. Den Podcast unseres Autors Wolfgang Weber finden Sie bei Spotify, Apple Podcast, überall sonst, wo es gute Podcasts gibt - und auf der Webseite: www.ever-greens.de