Kolumne
Die Weltspiele, die es nicht geben dürfte
20. Juli 2023 , Christopher Tiess
Dieses Mal geht es um einen Rückblick auf die Special Olympics World Games, warum sie so wertvoll sind und gleichzeitig ein Armutszeugnis darstellen.
THE SOCIAL GOLFER
Liebe Leidensgemeinschaft,
vor einigen Wochen war ich als Fotograf und Journalist bei den Special Olympics Weltspielen in Berlin und Bad Saarow. Wer meine private Seite kennt, weiß: ich habe allein schon aus familiären Gründen eine große Verbundenheit mit dem Thema Inklusion – und eine so bedeutende Veranstaltung zu begleiten, war für mich daher aus vielerlei Hinsicht etwas Besonderes.
Wir waren als kleines Team vor Ort. Um insbesondere die Golfwettbewerbe ordentlich begleiten zu können, waren eine Menge Anmeldungen, Absprachen und Akkreditierungen notwendig. Zudem hatte gerade ich als Fotograf ein paar Pflicht-Briefings auf dem Programm, ohne die ich letztendlich keinen Zugang zu den Veranstaltungsorten bekommen hätte. Viel Brimborium, dachten wir. Denn wir haben beim Blick auf die Organisation immer den Vergleich zu unseren DGV-Turnieren gezogen. Was die Special Olympics anging, befanden uns in einer vollkommen anderen Welt.
Eine Welt mit komplizierten Mechanismen. Mit langen Antwortzeiten oder gänzlich fehlenden Antworten. Mit Aussagen, die sich widersprachen und so weiter. Das Wichtigste allerdings: wir hatten Angst, bei einem derart regulierten Event am Ende selbst gar nicht mit dabei sein zu können, weil irgendein Badge oder Bip fehlt. Weil irgendeine Unterschrift nicht an der richtigen Stelle gesetzt wurde, irgendeine Frist nicht eingehalten wurde oder wir uns schlichtweg mit einer falschen Kategorie angemeldet haben. Es sei aber auch gesagt: das Orga-Team der Special Olympics war sehr bemüht, wirklich freundlich und im Verlauf zunehmend lösungsorientiert.
Dann kam der Auftakt im Berliner Olympiastadion. Eine Eröffnungsveranstaltung, die sich mit den ganz Großen messen lassen kann. Mit erstklassigen Show Acts und wunderschönen Licht- und Pyroeffekten. Aus der deutschen Politik waren alle da, die man erwarten würde - von Bundeskanzler Olaf Scholz über diverse Minister bis hin zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Es gab auch mehrere Reden. Aber vor allem eine stach wirklich hervor, nämlich die Ansprache von Tim Shriver. Das ist der Vorsitzende von Special Olympics International, Sohn der Special Olympics Gründerin Eunice Kennedy-Shriver und Neffe von JFK. Und glauben Sie mir, dieser Mann kann reden. So wie anscheinend jeder in der Kennedy-Familie. Vor allem aber war eines zu bemerken: dieser Mann glaubt an das, was er sagt.
Aufrichtigkeit versteckt sich nicht. Und genau in diesem Kontext gab es zwei Momente, die mich emotional unerwartet heftig erwischt haben. Passenderweise war es zum Einen das Einlaufen der Athleten, mit ihrer unbändigen Vorfreude auf die bevorstehenden Wettkämpfe. Und zum anderen eine knappe Woche später die Siegerehrung der Golf-Wettbewerbe. Ich habe ein weiches Herz für ehrliche Gefühle und diese hier waren so aufrichtig, wie sie nur irgendwie sein konnten. Wir alle wurden mitten in diese Wettbewerbe hineingezogen. Die zügellose Freude und auch die Enttäuschungen – wir waren mittendrin in menschelnden Szenen, wie man sie bei einer Deutschen Meisterschaft AK offen gar nicht mehr sieht. Denn unsere (gesunden) Leistungssportler sind mittlerweile auch auf der mentalen Seite so durchgetrimmt, dass man an ihrem Gesichtsausdruck kaum noch erkennt, ob sie gerade ein Hole-in-One oder einen Shank geschlagen haben. Was für ein Geschenk sind da diese Freudentänze, Siegesschreie und in die Luft gestreckte Fäuste.
Und ich denke mir: sollte nicht auch genau das ein gesellschaftliches Ziel sein, ehrliche Emotionen zuzulassen? Im Leistungssport machen wir aus purer Siegesfreude ein kontrolliertes Nichts. Und auf Instagram zelebrieren wir dafür schon einen schnöden „Coffee to go“ als Weltereignis. Warum müssen wir alles so verdrehen? Obwohl mich das Thema Inklusion und hier insbesondere die Facette Behinderung seit nunmehr über zwölf Jahren eng begleitet, habe ich bei den Special Olympics eines erneut gelernt: Akzeptiere Dein Gegenüber so wie sie oder er ist. Kein Witzeln, Werten oder Lästern. Einfach nur Gefühle zulassen und annehmen. Wenn wir das schaffen, sind wir mit Inklusion schon einen großen Schritt weiter.
Und genau das bringt mich zu meinem abschließenden Punkt: Interessanterweise ist das Ziel von Special Olympics, dass mehr über Inklusion geredet wird. Dabei ist es absurder Weise doch so, dass im Endergebnis gar nicht mehr über Inklusion gesprochen werden muss – und zwar genau dann, wenn Inklusion zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Ich habe während der Special Olympics unzählige Menschen getroffen, die mir gesagt haben, wie toll sie es finden, dass es diese Veranstaltung gibt. Ich selbst denke: Es ist schlimm, dass wir sie überhaupt brauchen. Denn es zeigt: Wenn es um Inklusion geht, stehen wir als Gesellschaft nach wie vor ganz am Anfang…
Mit sportlichem Gruß,
Ihr Christopher Tiess
Lebenserfahrungen, Reise-Anekdoten und immer wieder Geschichten aus dem Kuriositätenkabinett namens Golfsport: In seiner Kolumne „The Social Golfer“ spiegelt der Projektmanager, Journalist und Fotograf Christopher Tiess seine Eindrücke aus der Welt wider und schlägt dabei die Brücke zu gesellschaftlichen und sozialen Themen.
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