Masters 2019
Die Rückkehr des Champions
24. März 2022 , Felix Grewe
Mit seinem Sieg beim Masters 2019 schreibt Tiger Woods Sportgeschichte. Wir blicken mit Text und Video zurück auf ein Comeback, das unvergessen bleiben wird.
Fabelhafte Comebacks in der Sportgeschichte hat es in den vergangenen Jahrzehnten viele gegeben. Da wäre zum Beispiel George Foreman zu nennen, vielleicht erinnern Sie sich? 1974 der legendäre „Rumble in the Jungle“ gegen Muhammad Ali, drei Jahre später der Rücktritt. Foreman wird Priester, nicht unbedingt der klassische Werdegang eines Boxers. 1987 kehrt er in den Ring zurück und wird 1994, mit 45 Jahren, der älteste Schwergewichts-Weltmeister der Geschichte. Martina Navratilova, Grande Dame des Tennis, sagt 1994 in Wimbledon Goodbye, mit fast 38 Jahren, und ist 2000 plötzlich wieder da – im Doppel und im Mixed, wo sie drei weitere Grand-Slam-Titel gewinnt, den letzten kurz vor ihrem 50. Geburtstag. Oder ihre Kollegin Jennifer Capriati, einst als Wunderkind gefeiert, dann Mitte der 90er-Jahre wegen Drogenbesitzes im Knast und sechs, sieben Jahre später die Nummer eins der Welt. Michael Jordan, Niki Lauda, Henry Maske, Hermann Maier – sie alle und noch viele andere Sportler haben Geschichten wundersamer Wiederauferstehungen geschrieben. Doch das Drehbuch von Augusta 2019, mit Tiger Woods in der Hauptrolle, sticht aus all diesen unvergessenen Sportmomenten hervor.
Woods' Triumph mit 43 Jahren – nur Nicklaus war älter
14. April 2019. An diesem Sonntag ist Augusta, Georgia, das Epizentrum der Sportwelt. Wer hier beim ersten Major-Turnier des Jahres vor Ort ist oder zuhause am Livestream hockt, wird Zeuge eines Ereignisses, von dem die meisten Experten befürchteten, es könnte nie wieder passieren. Alle anderen, denen Golf etwas bedeutet, werden sich noch lange daran erinnern, was wichtiger gewesen ist an diesem Tag, an dem Tiger Woods zum fünften Mal das Masters gewinnt, im Alter von 43 Jahren – nur Jack Nicklaus (46) war noch älter.
Es ist Tigers 15. Majortitel – 14 Jahre nach seinem letzten Coup in Augusta und unglaubliche fast elf Jahre nach seinem letzten Majorsieg bei der US Open 2008. Eine Zeitspanne, die im Spitzensport eine Ewigkeit ist. Zum Vergleich: Zwischen Roger Federers 17. (Wimbledon 2012) und 18. Grand-Slam-Titel (Australien 2017) lagen rund viereinhalb Jahre, in denen selbst die optimistischsten Fans des Schweizers mit jeder verpassten Chance weniger an einen weiteren Triumph ihres Idols glaubten. Der Rest ist bekannt: Federer ließ zwei weitere Titel folgen – und schuftet als 40-Jähriger für das nächste Comeback.
Finalrunde 2019 – als Tiger den Triumph perfekt machte
Tigers Traumlauf von Augusta 2019 hat im internationalen Golfsport Erdplatten verschoben. Drei Jahre später sind die finalen Szenen des letzten Aktes präsent wie am Tag danach. Wie Tiger mit obligatorisch rotem Shirt, allerdings mit zwei Schlägen Rückstand auf Open-Champion Francesco Molinari, auf die letzte Runde geht. Wie er, vor allem auf den zweiten neun Löchern, furchteinflößend fehlerfrei spielt, mit jeder Minute fokussierter wirkt und die Aura des Unbesiegbaren plötzlich wieder da ist. Wie Molinaris Nerven an der 12 versagen, Amen Corner zu seinem Fiasko wird und Tiger etwa eine Stunde später unter einem ohrenbetäubenden Getöse der Fans, darunter Mutter Kultida und Sohn Charlie, das 18. Grün betritt. Zu diesem Zeitpunkt zweifelt niemand mehr an seinem Sieg. Wie er dann, mit zwei Schlägen Vorsprung, den ersten Putt zum historischen Triumph Millimeter am Loch vorbeizirkelt, was nicht schlimm ist, weil es lediglich den Spannungsbogen erhöht und kurz darauf der Moment folgt, auf den Millionen Menschen weltweit so lange gewartet haben: Tiger locht, ballt die rechte Faust, reißt die Arme in den Himmel von Augusta. Er schreit all die Anspannung der letzten Stunden, Tage, Wochen, vielleicht Monate und Jahre heraus. Der Champion ist zurück. Es ist Tigers erster Major-Erfolg, bei dem er nicht als Führender in die Finalrunde gestartet war. „Wow! Ich gratuliere eine Million Mal. Du hast mich sehr inspiriert“, twittert Tennisstar Serena Williams wenig später. Tony Finau, Tigers Flightpartner an diesem Tag, ist der erste Gratulant: „Vielleicht der größte Moment unseres Sports“, jubelt er. Natürlich meldet sich US-Präsident Donald Trump und dessen Vorgänger Barack Obama adelt den Triumphator für dessen „Willensleistung, die von Charakterstärke zeugt“.
Im Video: Tigers Putt zum historischen Triumph
Erinnerungen an 1997
Viel wichtiger ist Tiger im Rausch des Glücks sein damals zehnjähriger Sohn Charlie, der ihm hinterm Grün in die Arme läuft. Die rührenden Bilder erinnern an den jungen Tiger und seinen ersten Augusta-Triumph, exakt 22 Jahre und einen Tag zuvor. Damals, im April 1997, umarmte er nach dem letzten Putt seinen Vater Earl, der mit einer schweren Herzerkrankung vor Ort war. Auch wenn ein Vergleich hinkt: Augusta 2019 gehört zu den emotionalsten Momenten, die der Golfsport jemals erlebt hat.
Es ist die persönliche Geschichte des Tiger Woods, die diesen Triumph noch größer macht als es die verrücktesten Statistiken ausdrücken können. Die elf langen, frustrierenden und herausfordernden Jahre, die ihn in die Tiefen der sportlichen und persönlichen Verzweiflung führten. All die privaten Skandale und die vielen Verletzungen, die ihn immer wieder zurückwarfen. In Augusta erzählt man gern die Geschichte aus dem Jahr 2017, als Tiger für das Champions Dinner schwere Medikamente schluckte, um ein paar Stunden lang aufrecht sitzen zu können. Noch am Abend jettete er von Georgia nach England zu einem Spezialisten, der ihm eine Operation zur Versteifung der Wirbelsäule nahelegte. Tiger ließ den Eingriff in Texas durchführen, er schien das Ende seiner Karriere zu besiegeln. „Golf lag damals nicht einmal in der fernen Zukunft“, gestand er später. Aber im Geist eines Champions ist kein Platz für die Gedanken an das Aufgeben.
Tiger Woods glückte in Augusta 2019 das vielleicht größte Comeback in der Geschichte des Sports. Und 2022, drei Jahre später? Da kämpft er nach seinem schweren Autounfall vor etwas mehr als einem Jahr für die nächste Rückkehr auf die Tour. Wieder einmal. Es gibt keinen Grund daran zu zweifeln, dass sie ihm auch diesmal gelingen wird.
Im Video: Die Golfwelt übers Tigers Masters-Sieg 2019