C. Morikawa
Der unscheinbar Besessene
28. Februar 2022 , Felix Grewe
Collin Morikawa ist der Aufsteiger des vergangenen Jahres. Sein Ziel ist klar: Er will weitere Majors gewinnen, die Spitze der Weltrangliste erklimmen und den Golfsport dominieren. Das Siegen bezeichnet er als eine Sucht.
Wie nähert man sich Collin Morikawa am besten? Jenem Mann, der erst seit Juni 2019 offiziell Profi ist, in dieser kurzen Zeit aber bereits zwei Major-Turniere gewonnen hat und bis auf Position zwei der Weltrangliste geklettert ist – Tendenz steigend. Natürlich, man könnte mit eben jenen Erfolgen beginnen, mit seinem bemerkenswert gradlinigen Aufstieg bis ganz dicht an die Spitze der Golfwelt. Oder man beginnt mit dem Mann, der seit rund 17 Jahren jeden einzelnen Schritt dieses sagenhaften Aufstiegs als Langzeit-Coach begleitet – Rick Sessinghaus.
„Er will immer das nächste Ding."
Der Amerikaner, 49, ist Doktor der angewandten Sportpsychologie und gehörte einst zu jener Spezies von Golfern, die zwar über ein besonderes Talent verfügen, sich jedoch mental sabotieren. Auch deshalb lautet sein wichtigstes Credo heute: Nicht der Körper ist der entscheidende Faktor für Sieg oder Niederlage, sondern der Geist. Sessinghaus, der sich als „Mental Performance Coach“ bezeichnet, widmet sich den mentalen und emotionalen Fähigkeiten seiner Schützlinge, er arbeitet auf diesem Gebiet auch mit Unternehmern zusammen. Morikawas rasante Entwicklung erklärt er in einer Geschichte von Golf Digest so: „Er will immer das nächste Ding. Wir sprechen von einer Mentalität eines Champions. Es geht immer um die Zukunft, nie um die Vergangenheit, das ist es, was ich an ihm bewundere. Er ist so gut darin, zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Das war schon als Kind so. Er will morgen noch besser werden als heute."
Morikawa, geboren im Februar 1997 in Los Angeles, war nie das klassische Golfkind. Der Sohn einer gebürtigen Chinesin und eines Hawaiianers mit japanischen Wurzeln war keiner, der jeden Tag stundenlang auf der Range verbrachte, einfach weil er es liebte, dort Bälle zu schlagen. Seine Motivation für den Sport entwickelte sich weniger aus der Leidenschaft für das Spiel heraus, als mehr durch seine Besessenheit von dem Gefühl, ein Sieger zu sein. Golf bot ihm dafür schon früh reihenweise Gelegenheiten.
Vom College auf die PGA Tour
Der Junge, äußerlich eher schüchtern und unscheinbar, entwickelte sich rasant zu einem der besten Junioren Kaliforniens. Als College-Spieler vertrat er später die University of California, dort lernte er seine große Liebe kennen, Katherine Zhu, mit der er seit wenigen Monaten verlobt ist. Er studierte BWL und bereitete sich neben dem Studentenleben, angetrieben von der unerschütterlichen Absicht, eines Tages der Beste zu sein, auf eine große Profikarriere vor. Im Juni 2019 feierte er sein PGA-Tour-Debüt bei der RBC Canadian Open, wurde geteilter 14. und katapultierte sich so auf Anhieb in die Riege potenzieller Turniersieger. Sechs Wochen später stemmte er bei der Barracuda Championship seinen ersten PGA-Pokal. Genau ein Jahr bevor der erste richtig große Coup folgen sollte: der Triumph bei der PGA Tour Championship, mit zarten 23 Jahren.
Morikawas Erfolgsgeheimnis
Als ihm ein Journalist danach mit der Frage konfrontierte, wie er sich selbst seinen fulminanten Aufstieg erkläre, antwortete Morikawa: „Ich nehme mir wahrscheinlich nicht so viel Zeit, um den Erfolg zu würdigen, wie andere Spieler, weil ich immer mehr will. Ich will immer gewinnen. Das macht süchtig. Wenn man gegen die Besten der Welt spielt und am Ende gewinnt, ist das ein unglaubliches Gefühl – pure Freude und extrem befriedigend.“
Vielleicht verbirgt sich in dieser Aussage, die zwar wie eine typische Sportler-Plattitüde klingt, aber offenbar so viel mehr ist, auch eine Erklärung für Morikawas Traumlauf 2021. Als Sieger der Open Championship im altehrwürdigen Royal St. George Golf Club (mit einer 66er-Finalerunde ohne Bogey!) triumphierte er zum Abschluss der Saison auch im Race to Dubai – als erster Amerikaner überhaupt! – inklusive des Sieges beim Abschlussturnier der besten 50 Profis.
„Er spielt wie ein athletischer Jim Furyk“, adelte Superstar Tiger Woods seinen Landsmann im vergangenen Jahr. Morikawa gehört mit 1,75 Metern zu den kleineren Spielern auf der Tour, deutlich kleiner auch als Furyk (1,88). Er schlägt bei weitem nicht die längsten Drives, aber er ist für seine Präzision bekannt, für seine zermürbende Konstanz – und dafür, einer der besten Closer auf der Tour zu sein, was bedeutet, dass er seine Chancen nutzt, die sich ihm bieten. Paul Anziger, Sieger der PGA Championship 1993, nannte Morikawa im amerikanischen Fernsehen einen „lächelnden Attentäter“, weil er so introvertiert wirkt, stets freundlich ist und doch gnadenlos zuschlägt.
Morikawas größte Stärke
Anziger hat Morikawa einst Tipps für das Chippen gegeben, beide kennen sich also. „Seine Stärke ist, dass er so harmlos daherkommt. Während Tiger diese einschüchternde Aura hat, macht Morikawa nicht diesen Eindruck. Er ist ein ganz normaler Typ von kleiner Statur. Aber er bringt die großen Spieler zu Fall.“ Kurz formuliert: Morikawa wirkt fade, ist aber ein genialer Golfer. Bhrett McCabe, wie Sessinghaus ebenfalls Sportpsychologe und Mentalcoach diverser Golfprofis, lobt den 25-Jährigen bei Golf Digest dafür, dass dieser sich stets auf das Wesentliche besinne, seine Stärken. „Er versucht nicht, Dinge zu tun, zu denen er nicht in der Lage ist. Er versucht nie, jemand zu sein, der er nicht ist. Er spielt sein Spiel – und das ist eine unterschätzte Fähigkeit.“
Was kommt 2022?
2022 ist Collin Morikawa sowohl Jäger als auch Gejagter. Er wird alles daransetzen, den Thron zu erklimmen und Jon Rahm von der Spitze der Weltrangliste zu verdrängen, gleichzeitig muss er wolkenkratzerhohe Erwartungen erfüllen, seine eigenen und die der Öffentlichkeit, die spätestens seit dem vergangenen Jahr mit jedem Erfolg weiter steigen. Eine Fähigkeit, die Ausnahmeathleten aller Disziplinen auszeichnet, besteht darin, diesem Druck standzuhalten. Sessinghaus ist überzeugt, dass sein Schützling dazu in der Lage ist. Dem Portal Golf.com sagte er: „Seine eigenen Ansprüche sind höher als die, die andere an ihn stellen. Er konzentriert sich auf seinen Weg und darauf, was ihn seiner Meinung nach weiterbringt. Dabei geht es auch darum, sich nicht vor etwas zu drücken und Angst zu haben, sondern Herausforderungen anzunehmen – auch, wenn es manchmal nicht so läuft, wie man will. Er ist stark genug, um mit diesen Dingen umzugehen.“ Den Beweis kann Morikawa schon Anfang April beim Masters in Augusta erbringen – und erstrecht im Juli, bei der 150. Open Championship in St. Andrews, wenn er als Titelverteidiger auf die Runde geht...
Collin Morikawa – seine besten Schläge 2021 im Video