Olympia

Auch ein Systemerfolg, Teil 3


20. August 2024 , Stefan Bluemer


Sogar das Maskottchen der Spiele begeisterte (© DGV)
Sogar das Maskottchen der Spiele begeisterte (© DGV)

Marcus Neumann zieht als Vorstand Sport im DGV ein überaus positives Fazit aus den Olympischen Spielen von Paris. Natürlich überstrahlt die Silbermedaille von Esther Henseleit alles, aber auch die anderen Athleten haben sich hervorragend präsentiert. Golf.de hat kurz nach seiner Rückkehr aus Paris mit Marcus Neumann über dessen inzwischen dritten Spiele nach Rio und Tokio gesprochen. In drei Teilen bringt golf.de das Interview, das unter den überwältigenden Eindrücken des Treffens der Jugend der Welt geführt wurde.

Interview Teil 3

 

Frage: Sie sagen, die Deutsche Golf Liga und Olympia, auch das hängt zusammen?

Marcus Neumann: Wir haben als ikonisches und Golfdeutschland charakterisierendes Wettkampfelement die Deutsche Golf Liga. Ohne die DGL wären wir bei den Profis nicht an dieser Stelle, hätten nicht die vielen kompetenten Trainer, die unsere Talente trainieren und nicht so viele engagierte, leistungsorientierte Clubs mit besseren Trainingsbedingungen, denn die sind es insbesondere, die unsere Sportkultur prägen und leben. Alle Athleten, die jetzt oben ankommen, sind auch Kinder der DGL. Alles hängt mit allem zusammen! Das Final Four im Riedhof bei München hatte sehr viel von Olympia in sich und die Olympischen Spiele hatten etwas von der Deutschen Golf Liga in sich. Deswegen hatten wir auch aus dem Deutschen Haus aus Paris einen Videogruß an die Teilnehmer des Final Four gesandt, der genau diesen Zusammenhang darstellen sollte.
Ganz wichtig, wenn ich das anfügen darf: Die Medaille von Paris ist auch ein Systemerfolg und ein Erfolg vieler, die dieses System mitgestalten. Das hat nichts damit zu tun, sich mit fremden Federn zu schmücken, angesichts der unfassbar starken Individualleistung von Esther. Aber den Begriff Systemerfolg muss man sagen dürfen, denn Wertschätzung und Anerkennung führt zu Motivation bei allen Beteiligten in diesem großen Wirkungsgefüge Leistungs- und Breitensport. Maximale Motivation im Gesamtgetriebe wiederum ist für Erfolge und Medaillen zwingend voraussetzend. Deswegen hat zwar Esther die entscheidenden Schläge gemacht und sich ihre Silbermedaille verdient geholt, keine Frage, sie hat sie aber auch für viele und letztlich mit vielen motivierten und engagierten Menschen im Umfeld der Vision Gold geholt. Damit die Unterstützung auch für andere Sportler und andere Zeiten gesichert bleibt, muss diese Wertschätzung berücksichtigt und auch so ausgesprochen werden dürfen. So möchte ich verstanden werden, wenn ich immer wieder – Sorry! - von Leistungssportkultur spreche.


Frage: Sie waren 2012 noch Bundestrainer der Damen und haben damals bei der Team-WM die ganz junge Lydia Ko selbst in der Türkei erlebt. Damals hat Ko das gesamte Feld in der Einzelwertung beherrscht und war die alles überragende Athletin. Die deutschen Damen haben damals als Mannschaft den größten Erfolg bis dato bei einer WM eingefahren und holten die Silbermedaille. 12 Jahre später schauen Sie wieder auf ein Turnier, bei dem Lydia Ko am Ende ihren ganz persönlichen Medaillensatz vervollständigt und Gold gewinnt. Können Sie ihre Gefühle und Gedanken zu dieser Entwicklung der deutschen Talente vom Jugendalter bis zum Tourprofi im Kontext der ganz großen Namen der Welt einordnen?

Marcus Neumann: Lydia Ko war schon als ganz junge Sportlerin eine absolute Ausnahmeathletin. Schon damals hatte sie Konstanz, Sicherheit und ein überragendes kurzes Spiel, alles initiiert durch ihren Fleiß, so wird mir berichtet. Ich sehe, dass insbesondere asiatische Nationen oder auch Athleten mit asiatischen Wurzeln, die jetzt in deren College-Zeiten in den USA leben, teilweise mit ihren ganzen Familien dort hingezogen sind, ausgesprochen fleißig sind, hohe Trainingsumfänge fahren und alles einem Ziel unterordnen. Das zahlt sich in diesem Sport offenbar aus, siehe Weltrangliste; dies, obwohl wir die Zahl der gescheiterten Versuche dort natürlich nicht kennen. Sie ist aber meines Erachtens hoch.
Für uns ist es eine zunehmende Herausforderung, junge Menschen für unseren Sport zu begeistern, sie dann zu fokussieren und im anstrengenden Erfolgsweg nicht zu verlieren. Der Zeitgeist hinsichtlich Spaß sofort und am besten leicht herbeigeführt, scheint mir, neben den soziodemografischen Veränderungen in unserer Gesellschaft nicht auf unserer Seite zu sein. Man muss im Training teils deutlich über den Anforderungen im Wettkampf agieren, um sich weiterzuentwickeln, um im harten Wettkampf bestehen zu können. Die, die dann auf das richtige Förderumfeld, auf die für sich richtigen Menschen zu rechter Zeit treffen und die für sich die richtigen Entscheidungen getroffen haben, werden dann groß, wenn sie zudem noch notorisch ausdauernd und leidensfähig sind, Nackenschläge als Chance und Teil des langen Weges sehen. Immer, wenn Du denkst, schon genug und viel gemacht zu haben, lege dir einfach noch einige Bälle hin, am besten im Regen und bei Kälte, wenn andere schon lange aufgehört haben, zu trainieren. Solche zu finden und zu fördern, gilt es weiterhin. Es werden aber meines Erachtens weniger. Leider.


Frage: Es scheint, als ob Erfolge auf den Touren von immer jüngeren Athleten erreicht werden?

Marcus Neumann: Alles wird jünger, das Hochleistungsalter verschiebt sich nach vorne, der Eintritt in die Profikarriere. 15-Jährige haben inzwischen eine ausgereifte Spielkompetenz, von denen gleichaltrige früherer Generationen nur träumen konnten. Außer Lydia Ko vielleicht, die schon mit 17 ihr erstes Major gewann. Das macht natürlich auch was mit uns, mit den Clubs und Verbänden Man muss wohl zukünftig schon in jungen Jahren auf ein gutes Fördersystem treffen. Kinder sollten früher spezifisch trainiert werden, gerne zunächst mit anderen Sportarten kombiniert, aber im Alter von acht bis zehn Jahren werden schon entscheidende Weichen gestellt. Dann spätestens sollte eine sehr zielgerichtete Förderung greifen. Die Lust von Talenten, von morgens bis abends auf dem Golfplatz sein, muss früher befördert werden. Da haben wir gemeinsam was vor!


Frage: 2022, als Sie die Team-WM auf Le Golf National begleitet haben, war Rose Zhang am Ende in der Einzelwertung auf Position eins, schlaggleich mit Helen Briem. Rose Zhang ist inzwischen auf der LPGA Tour eine feste Größe und war auch jetzt in Paris im Kampf um die Medaillen zeitweise aussichtsreich im Rennen. Helen Briem hat in diesem Jahr als erste Deutsche Platz eins im World Amateur Ranking erreicht und ist nun seit wenigen Wochen selbst auch Profi.
Wenn Sie solche Entwicklungen sehen und diese insgesamt mit denen der Spieler vergleichen, die in der Vision Gold aufgewachsen sind und gefördert wurden, wo sehen Sie in der Vision Gold vor allem noch Potenzial, deutsche Talente noch besser an die Weltspitze heranzuführen?

Marcus Neumann: Eine Erkenntnis von Paris ist klar, Rose Zhang ist auch kein Übermensch. Sie ist auch keine Erfolgsmaschine, zugegeben, trainiert viel und mit viel Hingabe und galt, wie man mir berichtet, schon immer als Riesentalent. Aktuell geht im weiblichen Bereich am College wenig und dann später an der LPGA Tour nichts vorbei. Europa schwächelt sowohl bei den Damen, als auch bei den Herren, im Amateur- so auch im Profisegment. Das dürfen wir aber nicht hinnehmen. Daher müssen wir in Europa alles daransetzen, unsere Strukturen zu stärken und unsere Anstrengungen zu konzertieren. Das gelingt noch nicht. Wir brauchen in Europa beispielsweise dringend eine gute europäische Rangliste mit einer attraktiven Turnierserie für die besten Amateure auf sehr hohem Niveau, damit sich die Talente in Richtung Olympia und Tour auch hier zielscharf entwickeln können. Wir kommen damit aber nur weiter, wenn Europa gemeinsam an einem Strang zieht. Die erste europäische olympische Golfmedaille von Esther sollte Ansporn genug sein, Europa zu stärken. Sonst verlieren wir auch als Golfdeutschland den Anschluss und es wird nur schwerer und schwerer, europäische Athleten auf den großen Touren zu etablieren. Das kann einem Spitzensportverband nicht egal sein, genauso wenig einer EGA.


Frage: Was hoffen Sie, ändert sich durch diesen Triumph von Esther Henseleit, durch diese strahlende Silbermedaille in Golfdeutschland? Sind die Clubs, sind die Förderstrukturen auf Landes- und Bundesebene auf einen Ansturm junger Menschen vorbereitet, die Esther nacheifern wollen? Welche Anpassungen in der Vision Gold sollte man angehen, um das Momentum, ausgelöst durch diese erste olympische Medaille möglich gut zu nutzen?

Marcus Neumann: Wir werden in der Vision Gold, wie immer nach einer Olympiade von vier Jahren, wieder nachsteuern. Wir hatten zu Beginn der Vision Gold in 2012 damals 14 Arbeitsfelder in den Blöcken Wettkampf, Training und Förderung aufgesetzt, die in ihrer Ausgestaltung ja ohnehin schon immer fortlaufend verändert wurden. Nachsteuern heißt jetzt zum Beispiel in den beiden Qualitätsmanagements auf Landes- und auf Clubebene. Hier nehmen wir uns vor, noch effizienter zu werden. Auch in der Trainerausbildung setzen wir neue Maßstäbe, der sensible Übergangsbereich Amateur zum Profi muss besser werden, um nur drei Bereiche zu nennen. Vieles aber, was zur Weiterentwicklung notwendig oder förderlich wäre, ist mit finanziellen Investitionen verbunden. Ich hoffe, unsere Mitglieder geben uns auch zukünftig diese Möglichkeiten und ich hoffe auch noch immer auf eine auskömmliche Bundesmittelförderung, für die wir seit Jahren kämpfen.
Nicht unterschätzen darf man, was diese Medaille bei unseren jungen Talenten auslöst. Esther hat gezeigt, was man erreichen kann. Sie wird als Vorbild gelten. Je erfolgreicher wir mit mehreren deutschen Stars international aufwarten, desto mehr steigt die Motivation der Jugend allgemein, ihnen nachzueifern. Das gilt in allen Sportarten so, auch im Golf. Nicht erst Sophia Popovs Sieg bei der Women´s British Open 2020 hat den Anfang gemacht, die vielen zunehmenden Erfolge deutscher Spielerinnen und Spieler der letzten Jahre erzeugen eine nachhaltige Wirkung, hoffentlich auch zukünftig mehr bei Noch-Nichtgolfern. Da hilft natürlich eine olympische Medaille, erkämpft in einem nicht sportspezifischen Rahmen wie bei den Olympischen Spielen sicher noch mehr als der wahrhaft weltmeisterliche Titel von Helen Briem in Paris vor zwei Jahren.
Golfdeutschlands Ruf in internationalen Fachkreisen der Trainer und Funktionsträger ist herausragend. Wir sind noch immer die sich im Hochleistungsbereich am dynamischsten entwickelnde Golfnation. Respektvoll höre ich in vielen Gesprächen immer wieder die Frage, was unser Erfolgsrezept sei, was wir in unserer Förderung anders machen, gerade auch in der schwierigen Übergangsphase vom Spitzenamateur zum Profi. Sogar England fragt nach unseren Konzepten und will nun vermehrt in diesem Bereich investieren. Unsere Rahmentrainingskonzeption ist in Sportdeutschland mehr als gewürdigt und taugt offensichtlich auch bei anderen Golfnationen zur Nachahmung. Wir haben mit der Vision Gold auf breiter Basis etwas ganz Nachhaltiges geschaffen, dürfen uns aber nun auf keinen Fall auf dem frischen Ruhm ausruhen! Ich hoffe, dass diese Medaille ganz viel auslöst, in der Gesellschaft, der Politik, beim BMI, beim DOSB, aber eben auch innerhalb der Golfszene. Ich wünsche mir nicht erst seit Paris, dass der Leistungssport unter unseren DGV-Mitgliedern und deren Mitgliedern untrennbar vom Breitensport, als ein wesentlicher und notwendiger Treiber der Golfentwicklung eingeordnet wird. Ohne Breite keine Spitze, ohne Spitze keine Breite. Ich hoffe, dass Esthers Medaille als olympisches Signal zu dieser Erkenntnis beiträgt.

Vielen Dank für das sehr spannende Gespräch.