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„Behindertensport ist sehr, sehr vielschichtig”


18. Juni 2024 , Thomas Fischbacher


Ab Juli geht in Hösel die EMM der Golfer mit Behinderung über die Bühne | © DGV
Ab Juli geht in Hösel die EMM der Golfer mit Behinderung über die Bühne | © DGV

Cornelia Obrecht ist als erste und einzige Eligibility Assessor (EA) des Europäischen Behindertengolfverbands (EDGA) in Deutschland im Auftrag des DGV tätig, wo sie Golfsportler mit diversen Einschränkungen untersucht und klassifiziert. Ein Gespräch über die Herausforderungen ihrer Tätigkeit und den neuen Modus der EMM.

Cornelia Obrecht hat vor vielen Jahren die Leidenschaft für den Golfsport entdeckt. Hauptberuflich ist sie als Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie und leitende Oberärztin im “rzw” in Worms tätig, nebenbei hatte Obrecht aber auch die Energie für ehrenamtliches Engagement im Golfsport. Neben einigen Tätigkeiten als Turnierärztin war Obrecht über Jahre hinweg als Landesjugendwartin im Landesgolfverband Rheinland-Pfalz/Saarland aktiv.

2022 wartete dann eine andere Aufgabe auf sie. Seit zwei Jahren ist die Medizinerin sogenannte Eligibility Assessor (EA), eine Position, die der Europäische Behindertengolfverband (EDGA) so benennt. Während dieser Tätigkeit untersucht sie Spieler mit diversen Einschränkungen und Behinderungen und gibt eine Einschätzung zu deren Behinderung und den Einfluss auf das Golfspiel ab. Das Ganze erfolgt nach vorgegebenen Richtlinien der EDGA. Letztlich dient dies der Klassifizierung von Sportlern und einer evtl. Passvergabe, mit dem die Spieler an entsprechenden Turnieren teilnehmen können und Weltranglistenpunkte sammeln können. Obrecht ist die erste (und bisher einzige) EA in Deutschland. 

Cornelia Obrecht
Cornelia Obrecht | © privat


Guten Tag, Frau Obrecht, seit 2022 sind Sie die einzige EA in Deutschland. Wie kam es eigentlich zu dieser Tätigkeit?
Cornelia Obrecht: Bereits als Schülerin war bei mir das Thema Inklusion präsent und normal. Ich hatte Mitschüler mit Behinderungen, insofern ist da bei mir wenig Hemmschwelle vorhanden. Zum Golf kam ich über die Familie. Als meine Töchter immer besser gespielt haben, kamen ein paar ehrenamtliche Tätigkeiten hinzu, irgendwann wurde ich zur Landesjugenwartin im Golfverband Rheinland-Pfalz/Saarland und so lernt man Leute kennen. Ich war ab und an als Turnierärztin im Einsatz, unter anderem beim Solheim Cup in St. Leon-Rot. Vor zwei Jahren kam der DGV auf mich zu, da der Verband gegenüber der EDGA einen Klassifizierer melden muss. Sie haben gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Dann habe ich das sehr gerne abgenickt und bin seither aktiv.

Wie läuft eine Untersuchung der Sportler genau ab?
Sportler können sich ganzjährig bei mir untersuchen lassen, zusätzlich besteht diese Möglichkeit immer bei Turnieren, bei denen ich auch vor Ort bin. Die Sportler melden sich auf der Website der EDGA an, geben ein paar Details an und werden an den jeweiligen Assesor des Landes weitergeleitet. Ich bekomme dann eine Mail und suche den Kontakt. Bei der Untersuchung überprüfe ich, ob die angegebenen Merkmale mit der Realität übereinstimmen. Sobald ich den Prozess abgeschlossen habe, bekommen die Bewerber ihren Ausweis und die Klassifizierung dann, wenn die Vorgaben erfüllt sind. 

Alle Infos zur EMM in Hösel >>>

Haben die Ausweise und Klassifizierungen dauerhaft Bestand?
Die allermeisten schon. Es gibt Ausnahmen, wie eine Behinderung in Folge eines Schädel-Hirn-Traums, wo sich der Zustand im Laufe der Zeit eventuell wieder verbessern kann. Da kann der Sport ja auch eine therapeutische Wirkung haben. In so einem Fall gibt es einen Vermerk, dass nach einem gewissen Zeitraum eine weitere Untersuchung nötig ist. 

Landet man bei den Untersuchungen oft in Grauzonen oder gibt es sonstige Schwierigkeiten beim Klassifizierungsprozess?
Mehrfachbehinderungen sind manchmal etwas schwierig zu klassifizieren. Beispielsweise bei einer Person, bei der beispielsweise ein Arm verkürzt ist und die zusätzlich noch mit den Folgen eines Schlaganfalls beschäftigt ist. Da treffen orthopädische auf neurologische Besonderheiten und das macht die Einteilung nicht immer einfach. Aber am Ende geht es darum, dass man für den Patienten die bestmögliche Lösung findet. Ich schreibe in meiner Tätigkeit als Ärztin in einer Rehaklinik ja auch viele Gutachten, da gibt es eben auch komplizierte Fälle. 

Die Zusammenstellung der Kader für die EMM in Hösel gestaltet sich in diesem Jahr anders. Jedes Team muss vier Spieler aus vier unterschiedlichen Bands aufstellen. Der europäische Behindertengolfverband hat dazu ein neues Klassifizierungssystem eingeführt. Wie schätzen Sie den neuen Modus ein?
Ich finde im neuen Modus insofern gut, dass man versucht, querbeet ein Repertoire an Spielern ins Rennen zu schicken, die viele unterschiedliche Behinderungen oder Einschränkungen abbilden. Es ist ein Versuch, es besser zu machen als bisher. Optimal wird es niemals gelingen, aber verbessern geht immer.  

Was macht es so schwierig, die richtige Vorgehensweise zu finden?
Komplette Gerechtigkeit ist nicht möglich. Die Konsequenz, wenn man Dinge besonders einfach machen möchte, ist oft, dass sich Menschen benachteiligt fühlen. Je gerechter es werden soll, desto mehr Unterteilungen braucht es und desto komplizierter wird es auch. Behindertensport ist sehr, sehr vielschichtig. Würde man nur Menschen, die am linken Arm Probleme haben, in einer Gruppe starten lassen, müsste man dennoch wahrscheinlich noch gefühlt vier Unterklassen bilden, da die Probleme einfach sehr differenziert sind und sich unterschiedlich auf das Golfspiel auswirken. 

Woran wird man erkennen, ob der neue Modus ein Erfolg war?
Man wird erkennen, ob es große, schwere Hürden gibt. Wenn viele kleinere Verbände für diese Konstellation keine Spieler mehr stellen können, dann wird man wieder einen Schritt zurückgehen müssen. Manchmal muss man neuen Systemen eine Chance geben. Es ist ja nichts in Stein gemeißelt.   


Vielen Dank für das Gespräch!