Steffi Nerius
240-Meter-Drives statt 70-Meter-Würfe
3. November 2023 , Redaktion Golf.de
Steffi Nerius bringt gerne etwas zum Fliegen. Früher war's der Speer, jetzt ist es der Golfball. Die Weltmeisterin leitet zudem das Sportinternat von Bayer 04 Leverkusen, das aktuell auch ein Spieler aus dem Golf Team Germany besucht.
Das Stirnband. Am besten noch mit einem passenden Spruch oder in den Farben des Veranstaltungslandes. Das war das Markenzeichen von Speerwurf-Legende Steffi Nerius. 2009 wurde sie beim Finalwettkampf ihrer Karriere Weltmeisterin mit dem ersten Wurf - bei der Heim-WM. Sie war Europameisterin (2006), Sportlerin des Jahres (2009) und holte bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 die Silbermedaille. Heute, bald 15 Jahre nach ihrem Karriereende, wirft sie nicht mehr den Speer, sondern schlägt den Golfball.
Sie ist eine viel beschäftige Frau. „Zwei Jobs, zwei Jagdhunde, und schöne Hobbys.“ Steffi Nerius wohnt in Leverkusen, ist Trainerin im Parasport sowie Leiterin des Sportinternats von „ihrem“ Verein TSV Bayer 04 Leverkusen. Seit rund zehn Jahren spielt die 51-Jährige zudem Golf. Dabei war es keine Liebe auf den ersten Schlag. „Ich hatte schon einmal zwei Schnupperkurse gemacht, das lief eher suboptimal. Ich habe mehr Boden weggeschlagen, als den Ball zu treffen“, erinnert sie sich. Doch als sie 2011 bei der Stiftung Deutsche Sporthilfe in den Gutachterausschuss berufen wird, „wo gefühlt 30 Prozent golfen“, lässt sie sich nochmal zu einem Versuch überreden.
Die Ausnahme-Athletin besucht einen Platzreifekurs in Lam im Bayerischen Wald. „Da hatte ich einen Super-Golflehrer. Der hat mir meinen Schwung beigebracht und war ganz begeistert, dass ich seine Tipps so schnell umsetzen konnte. Also flogen die Bälle schön weit, so um die 120 Meter. Da war mir klar: Golf ist doch ein cooler Sport.“ Denn das ist es, was Steffi Nerius mag: „Ich bringe gerne etwas zum Fliegen. Und dann auch immer weiter. Das war auch im Speerwerfen immer mein Kernziel: den Speer immer weiter zu werfen.“
Nur wenige Tage nach dem Platzreifekurs belegt sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten noch einen Handicap-Verbesserungskurs am Chiemsee. „Nach einer Woche hatte ich mich von Handicap 54 auf 49 heruntergespielt.“ Das Feuer ist entfacht. Steffi Nerius lässt sich fitten. Als der Pro fragt, wie lange sie schon Golf spiele, kann er es nicht glauben: drei Wochen. „Meine Schlägerkopfgeschwindigkeit war so hoch, dass er mir Schläger empfahl, die die Damen in der 1. Bundesliga spielen. Nach ersten Schwierigkeiten, die er mir auch prophezeit hatte, kam ich mit diesen super klar. Ich spiele sie heute noch.“ An etwa fünf Turnieren nimmt Steffi Nerius seitdem im Jahr teil, dazu kommen etwa fünf Besuche auf der Driving Range. Mitglied ist sie in der VCG (Vereinigung clubfreier Golfspieler). „Das ist für mich genau das Richtige, weil ich es spannend finde, verschiedene Plätze zu spielen.“
Den Speer warf die geborene Rüganerin etwa 70 Meter weit, der Golfball fliegt bei ihren Drives bis zu 240 Meter. „Ich bin tatsächlich gut darin, den Schlägerkopf zu beschleunigen. Das ist eine ähnliche Bewegung wie beim Speerwurf, im Knie und in der Hüfte, die Drehung, der Druck auf dem rechten Bein. Dazu muss der Oberkörper locker bleiben. Es geht um Beschleunigung – beim Golf wie beim Speerwurf.“ Aktuell hat Steffi Nerius Handicap 22,5. „Ich glaube, wenn ich regelmäßig spielen würde, wäre ich schnell auf 15 oder 16 herunter. Aber das will ich gar nicht. Denn dann würde ich als ehrgeizige Ex-Profisportlerin immer mein Handicap spielen wollen – und Golf soll mein Hobby bleiben. Ganz ohne Druck.“
Zudem hat die sympathische Sportlerin noch andere Hobbys. Jagen zum Beispiel. Mit ihren beiden Magyar-Vizslar-Hunden „Jacky“ und „Figo“ geht sie etwa fünfmal im Jahr auf die Jagd – und auch auf den Golfplatz, sofern Hunde dort erlaubt sind. „Das klappt wunderbar, denn als Jagdhunde gehorchen sie aufs Wort.“ Ein Stirnband trägt Steffi Nerius auf dem Golfplatz übrigens nicht. „Das war ein PR-Ding. Das habe ich 2009 mit meiner Profi-Karriere beendet.“ Und Golf soll weiterhin eines bleiben: ein schönes Hobby.
Das Sportinternat von Steffi Nerius:
Das Sportinternat von TSV Bayer 04 Leverkusen, das Steffi Nerius leitet, besuchen rund 50 Jugendliche. Sie kommen nach der Schule, essen zu Mittag, erhalten Unterstützung von Lehrern bei Hausaufgaben und dem Nachholen von verpasstem Schulstoff. Zudem gehen sie von hier aus zum Training. Etwa ein Drittel der Schüler wohnt in Gastfamilien, ein Drittel kommt aus der Umgebung und wohnt zu Hause und ein Drittel ist in betreuten Wohngemeinschaften untergebracht. Aktuell in Planung ist ein Voll-Internat. Die Schüler sind zwischen 16 und 18 Jahre alt und betreiben unter anderem die Sportarten Fußball, Basketball, Leichtathletik, Judo und Fechten. Die Fußballnationalspieler Kai Havertz und Florian Wirtz sind beispielsweise ehemalige Schüler. Gerade besucht auch ein Golfer das Internat: Peer Wernicke (GC Hubbelrath), der mit Team Europa den Junior Ryder Cup 2023 gegen die USA gewonnen hat. Der 18-Jährige aus dem Golf Team Germany möchte hier sein Abitur machen – und gerne mal mit Steffi Nerius auf eine 9-Loch-Runde gehen: „Das wäre bestimmt lustig“, meint sie lachend.
(Text und Bild: Constanze Kirmaier)
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