Reise

„Da hat der liebe Gott seine Hand drüber gehalten“


6. April 2023 , Redaktion Golf.de


Neue EverGreens-Episode: Die Gatow-Story
Neue EverGreens-Episode: Die Gatow-Story | © Weber

Reiseexperte Wolfgang Weber lädt in seiner EverGreens-Reportage erneut ein zu einem Ausflug in die Golfregion Berlin/Brandenburg - diesmal mit der Gatow-Story.

Text: Wolfgang Weber 

Als King Charles III kürzlich Berlin besuchte, wurde er mit Salutschüssen auf dem neuen Hauptstadtflughafen BER empfangen - anders als seine Mutter Elisabeth II, die schon zu Mauerzeiten öfters in Berlin war und regelmäßig auf dem damaligen britischen Militärflughafen Gatow landete. Aber der ist inzwischen Geschichte, genau wie der einstige „British Golf Club Gatow“ mit seinem 9-Löcher-Platz. Wäre es nach den ursprünglichen Plänen der Bundesregierung kurz nach der Wende gegangen, wäre die komplette Golfanlage britischer Provenienz im Westen Berlins längst Geschichte. Doch letztendlich hatte der Berliner Golf Club Gatow Glück, denn „da hat der liebe Gott seine Hand drüber gehalten“.

Zugegeben, es gibt teurere Golfplätze auf dieser Welt als den des Berliner Golf Club Gatow, Anlagen, bei denen so viel Geld verbuddelt wurde, daß nahezu an jedem Grashalm ein Dollarzeichen prangen müßte. Aber auf keinem anderen Platz ging es jemals um so viel Kohle wie hier, ganz im Westen Berlins. Und nirgendwo geht man als Golfer einst gut gehüteten Geheimnissen der jungen Berliner Stadtgeschichte so tief auf den Grund wie in Gatow, wo zu Mauerzeiten - wie es die jahrzehntelang eingeschlossenen West-Berliner mit Galgenhumor formulierten – „die Sonne abends im Osten unterging“. 

An Loch 6 kommt bei jedem Longhitter Freude auf. Von einem hohen Plateau-Abschlag aus gilt es, den Ball in eine gigantische, 50 Meter tiefe Senke hinab zu dreschen. Slicen strikt verboten! Sonst landet der Ball bei den zahlreichen Karpfen und Welsen in dem 1.300 Quadratmeter großen langgestreckten See, dessen schilfbewachsenes Südufer nach einem scharfen Dogleg nach rechts den Rest der langen Par-5-Bahn bis kurz vor’s leicht ondulierte Grün begleitet. Bei der 7, einem langen Par 3 am gegenüber liegenden Seeufer entlang, sieht es vom Abschlag aus, als stünde die Fahne mitten im Wasser. 

Sportliches Finale vor dem einstigen Offiziersheim: Das Clubhaus des GC Gatow hat historischen und militärischen Touch.
Sportliches Finale vor dem einstigen Offiziersheim: Das Clubhaus des GC Gatow hat historischen und militärischen Touch. | © Weber


Erst wenn auf Bahn 8 der zweite, „blinde“ Schlag einen mühsamen Steilhang hinauf auf’s hoch gelegene Grün geglückt ist, endet der Ausflug in Berlins Untergrund und in die mysteriösen Untiefen der Nachkriegsgeschichte. Denn das große, gut 400 Meter lange und 200 Meter breite Loch von Gatow, das den Golfern heute drei spektakuläre Spielbahnen beschert, galt zu Zeiten des Kalten Krieges als überlebenswichtig für das eingemauerte West-Berlin. Hier lagerte, zum Grundwasserschutz in einer riesigen „Badewanne“ aus Beton und dicken Folien, die viele hunderttausend Tonnen schwere „Senats-Kohlereserve“ – sorgsam eingebunkert, um im Fall einer erneuten Berlin-Blockade sicherzustellen, daß die Zwei-Millionenstadt nicht erfröre. 

Man war ja gewarnt. Während der Luftbrücke 1948/49 hatte der von der britischen Royal Airforce genutzte Militärflugplatz Gatow für die Versorgung Berlins mit Lebensmitteln, Treibstoff und Kohle eine fast ebenso große Rolle gespielt wie der viel berühmtere alte  Flughafen Tempelhof im amerikanischen Sektor. In Tempelhof landeten die Rosinenbomber, in Gatow vor allem die nicht weniger wichtigen Brikettfrachter. Später machte das Airfield allenfalls noch Schlagzeilen, wenn Queen Elisabeth oder andere Mitglieder der Royal Family zu einem Berlin-Besuch einflogen. Noch heute gibt es in der benachbarten Kaserne, in der jetzt der Inspekteur der Bundesluftwaffe residiert, einen „Queen’s Way“, wo einst die britischen Soldaten und ihre Angehörigen Fähnchen schwenkend der Monarchin zujubelten. 

„Die Engländer waren sehr sportlich“, erinnert sich Bernhard Neumann, gebürtiger Gatower und langjähriger Zeitzeuge der Geschehnisse rund um das britische Headquarter in Berlin, „die spielten Rugby, Football, Kricket. Und zweierlei konnten viele von ihnen besonders gut: Golfen und osteuropäische Sprachen“. 

Denn wesentlich wichtiger als die Runway des Flugplatzes – in den Dreißiger Jahren, als klarer Verstoß gegen den Versailler Vertrag, für Görings Reichsluftwaffe als Luftkriegsschule und Ausbildungsstätte für Bomberpiloten gebaut, freilich getarnt als „Forst- und landwirtschaftliches Flugversuchsinstitut“ – war während des Kalten Krieges die Rolle des Militärgeländes als Horchposten. Mit Hilfe großer Antennen-Anlagen, die teils heute noch auf dem Gelände des verbliebenen Luftfahrt-Museums zu sehen sind, wurde jahrzehntelang von sprachkundigen Spezialisten Funk- und Telefonverkehr in ganz Osteuropa, bis hin zum Ural, abgehört. Spionage-Bestseller-Autor John le Carré, einst selbst britischer Geheimdienstler in Deutschland, läßt grüßen. 

Galt einst als überlebenswichtig für West-Berlin: Wo heute die Gatower Golfer um Pars und Birdies kämpfen, war einst die Senats-Kohlereserve der eingemauerten Stadt eingelagert.
Galt einst als überlebenswichtig für West-Berlin: Wo heute die Gatower Golfer um Pars und Birdies kämpfen, war einst die Senats-Kohlereserve der eingemauerten Stadt eingelagert. | © Weber


Wenn die Abhörspezialisten und Air Force-Offiziere ihrem auf der Insel so beliebten Golfsport frönen wollten, taten sie dies anfangs als Gastspieler auf der 18-Löcher-Anlage in Wannsee, wo die amerikanischen Alliierten seit Kriegsende das Regiment führten. Doch irgendwann wurden auf der einzigen Golfanlage Berlins die Startzeiten arg knapp. Amerikanisches und britisches Englisch waren auf einmal nicht mehr dieselbe Sprache, die alliierten Sportfreunde verkrachten sich. Schließlich entschlossen sich die Briten zum Bau eines eigenen 9-Löcher-Platzes auf ihrem Militärgelände jenseits der Havel. 

Pioniere der Royal Army begannen 1967 mit der Anlage der Fairways, Förster aus der Nachbarschaft sorgten für die Grundbepflanzung auf dem noch relativ kahlen Gelände, und 1969 begann der Spielbetrieb auf der Anlage, die zu einem Parkland-Platz mit top-gepflegten Fairways auf komfortabel breiten Waldschneisen heranwuchs. 

Zu den wenigen Deutschen, die schon um 1980 herum als „five-days-members“ wochentags durchs Kasernentor zum Golfplatz fahren durften, zählte Bernhard Neumann. Als die Mauer gefallen war und die Alliierten 1994 aus Berlin abzogen, wurde er erster deutscher Präsident des „Berliner Golf Club Gatow, established as the British Golf Club Gatow“. 

Einer Golfanlage freilich, der bis kurz vor Ende der neunziger Jahre ziemlich exakt null Prozent Überlebenschance eingeräumt wurden. Denn der Bund, dem das Militärgelände als ehemaliger Reichsgrundbesitz nun gehörte, hatte herzlich wenig Interesse am Golfsport, dafür umso mehr am Wohnungsbau. Es galt, Häuser zu bauen für die Heerscharen an Bundesbeamten, die - so die allgemeine Erwartung - bald mit der Bundesregierung von Bonn nach Berlin umziehen würden. 

„Wir haben damals wie verrückt Briefe geschrieben, an Bundesbauminister Klaus Töpfer, an Bundeskanzler Helmut Kohl, an Bundespräsident Richard von Weizsäcker, sogar an den britischen Premier John Mayor“, erinnert sich Bernhard Neumann an seine „Leidensjahre“. Doch bei der Politik stießen alle Bitten und Appelle weitgehend auf taube Ohren. Daß die „Gatow-Story“ letztendlich doch noch ein Happy-End hatte, ist nach Überzeugung des heutigen Club-Ehrenpräsidenten vielmehr einer noch höheren Instanz zu verdanken: „Da hat der liebe Gott ein paar Mal seine Hand drüber gehalten!“ 

Unmittelbar neben dem Golfgelände: der einstige Airport und Horchposten der britischen Streitkräfte in Berlin-Gatow dient heute als Militärhistorisches Museum der Bundeswehr.
Unmittelbar neben dem Golfgelände: der einstige Airport und Horchposten der britischen Streitkräfte in Berlin-Gatow dient heute als Militärhistorisches Museum der Bundeswehr. | © Weber


Erst blieb der Bundesbeamten-Tsunami vom Rhein an die Spree aus. Dann entschieden ein paar einsichtige Beamte, die gleichwohl am westlichen Stadtrand geplante neue Eigenheimsiedlung könne ebenso gut direkt auf dem benachbarten einstigen Airfield gebaut werden, das als Flugplatz zwischenzeitlich entwidmet worden war. 

Und 1999 – die einstige Kohlereserve aus der „Monster-Badewanne“ von Gatow war inzwischen herausgebaggert und im Kohlekraftwerk Ruhleben verfeuert worden – stimmte der Senat dem von Bernhard Neumann und seinen Mitstreitern vorgeschlagenen sportlichen Verwendungszweck des nun obsoleten Nachbargeländes zu: 2001 konnte Bernhard Neumann den Goldenen Ball zur Eröffnung des zweiten 18-Loch-Golfplatzes auf Berliner Stadtgebiet schlagen. Thank God! 

Vor der Sonnenterrasse des einstigen Offiziersheims, das den Gatower Golfern als Clubhaus mit historischem Touch dient, stehen vier Fahnenmasten. Neben der gelben Clubfahne wehen die rot-weiße Landesflagge mit dem Berliner Bären, die schwarz-rot-goldene der Bundesrepublik – und, aus Tradition, der britische Union Jack. Nicht nur, weil  der gebürtige Londoner Joel Goodson bis heute die 1999 gegründete, nach ihm benannte Golf Academy in Gatow leitet, gehören britisches Know-how und britische Tradition nach wie vor untrennbar zur DNA des Clubs. 

Einmal im Jahr erinnern die Gatower Golfer mit einem „Luftbrückenturnier“ an heldenhafte Zeiten vor 75 Jahren, in denen freilich London, Washington und Berlin der Welt zeigten, wie Zusammenhalt geht. Memories are made of this.

And never forget: Berlin ist immer eine Golf-Reise wert!

Die ganze Geschichte erzählt die neueste Episode des Golfreise-Podcasts „EverGreens“. Den Podcast finden Sie bei Spotify, auf Apple Podcast, überall sonst, wo es gute Podcasts gibt - auch auf golf.de und auf der Webseite www.ever-greens.de